Ulysses Moore 6: Der erste Schlüssel (German Edition)
holen und er wird Ihnen alles erklären. Wenn Sie ihn bitte rufen lassen könnten …«
Der Soldat schob sie grob weg. »Es interessiert mich nicht, mit wem du befreundet bist und warum.«
»Aber das hier ist ein Irrtum«, ließ Julia nicht locker.
Der Mann zog sein Schwert ein Stück weit aus der Scheide. »Du hältst jetzt deinen Mund.«
»Aber es ist nicht mög…«
Die Waffe tanzte vor Julias Nase herum. Sie roch nach Rost und muffigem Schlamm.
»Ich bitte Sie …«, flehte Julia, der eine Träne die Wange hinunterlief.
Schweigend trieb der Soldat sie vor sich her. Rigobert gab er einen Fußtritt.
Die beiden mussten einen langen, feuchten und nur schwach beleuchteten Gang hinuntergehen, der zu einem Wassergraben voller Karpfen führte. Die Fische waren riesig und bewegten sich wie in Zeitlupe. Sie stiegen über den Graben hinweg und blieben vor einer Tür stehen. Mit einem Pfiff rief der Soldat einen Kameraden herbei, der eine Zelle aufschloss, in die Julia und der Dieb hineingetrieben wurden.
»Ich bitte Sie …«, versuchte Julia es ein letztes Mal. »Ich friere. Könnten Sie mir nicht wenigstens meine Schuhe geben?«
»Wenn du kalte Füße hast, dann halte sie vom Boden fern«, höhnte der Soldat und schloss die Tür hinter ihnen ab.
»Rufen Sie Balthasar!«, schrie Julia ihm hinterher. »Balthasar! Er wird mich holen kommen!« Julia schlug gegen die Tür und wiederholte Balthasars Namen. Dann ließ sie sich zu Boden sinken und schlang die Arme um die Knie. Der Fußboden der Zelle war feucht und kalt. Es war dunkel und ein unangenehmer Fäulnisgeruch hing in der Luft.
Julia konnte vor lauter Verzweiflung nicht mehr aufhören zu schluchzen.
Da hörte sie plötzlich die Stimme einer Frau, die ihr nur allzu bekannt vorkam. »Wer ist denn dieser Balthasar, der dich retten soll?«
Julia blieb beinahe das Herz stehen. Sie sprang auf und starrte mit zusammengekniffenen Augen in den hinteren Teil der Zelle. Als sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, konnte sie zwei weitere Zelleninsassen sehen. Auf einer Holzpritsche lag eine Frau. Neben ihr auf dem Boden hockte ein kräftiger Mann.
»Na, wen haben wir denn da?«, dröhnte Manfreds Stimme. »Das junge Fräulein aus der Villa Argo!«
»Nein!«, rief Julia. »Das kann doch nicht wahr sein! Ich will hier raus! Ich will hier raus!« Sie hämmerte mit den Fäusten gegen die Tür
Oblivia fing schrill an zu lachen.
In Nestors Gärtnerhaus herrschte eine eigenartige Stille. Sie wurde nur von Fred Halbwachs Schnarchen unterbrochen, der auf dem Sofa eingeschlafen war. Wenn jemand draußen vor dem Fenster gestanden hätte, hätte er sich an ein altes flämisches Gemälde voller sorgfältig ausgeführter Details erinnert gefühlt. Zwei Männer saßen sich gegenüber an einem Tisch, an dessen Kopfende ein rothaariger Junge Platz genommen hatte.
Ein erschüttert aussehender Nestor hatte gerade einen von Schreibfehlern strotzenden Ausdruck der Alten Eule gelesen, der Druckmaschine des Einwohnermeldeamts. Peter Dedalus hatte ihnen aus dem Venedig des 18. Jahrhunderts eine Nachricht geschickt: Er hatte Oblivia in die Irre geführt und sie dazu gebracht, den Ersten Schlüssel bei Black Vulcano zu suchen. Er hoffte, dass sie dort, wo Black sich aufhielt, gefangen genommen und fern von Kilmore Cove eingesperrt worden war.
Jason und Julia waren ebenso wie Rick nicht in diesen Plan eingeweiht gewesen, weshalb sie nach wie vor glaubten, Black habe den Ersten Schlüssel.
Leonard hatte immer noch nasse Haare. Er musste ständig husten.
Rick starrte auf ein altes, leicht beschädigtes Gemälde, das vor ihm auf dem Tisch lag.
Es war ein Porträt von Ulysses Moore und die Ähnlichkeit des jungen Mannes mit dem alten Gärtner Nestor war nicht zu übersehen.
Es herrschte ein ungemütliches Schweigen, so als ob keiner der drei wüsste, was er sagen sollte. Der Einzige, der sich in seiner Haut wohlzufühlen schien, war der schlafende Fred Halbwach.
Rick ließ seinen Blick durchs Zimmer schweifen und entdeckte eine alte Truhe, deren Deckel hochgeklappt war. Sie war voller Hefte. Dann fragte er die beiden Männer: »Also hat Black den Ersten Schlüssel gar nicht bei sich?«
Nestor und Leonard erwachten aus ihren Grübeleien.
»Der Erste Schlüssel wurde niemals gefunden«, antwortete der Gärtner.
»Wie kann ich dir das glauben?«, erwiderte Rick. Er sah das Gemälde an. »Du hast uns alle die ganze Zeit über belogen.« Rick seufzte. »Du bist also tatsächlich
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