Ulysses Moore 6: Der erste Schlüssel (German Edition)
kleinen, durchnummerierten Elfenbeinschildern versehen. Das Meer hatte auch die Seide teilweise zerstört, sodass darunter das Holz zum Vorschein kam. Das Schild mit der Nummer fünf fehlte.
»Ich verstehe nicht …«, sagte Rick.
»Diese Schatulle wurde am Strand angespült. Ein Fischer fand sie. Offenbar hatte sie jemand ins Meer geworfen …«
»Mein Vater?«, fragte Rick vorsichtig.
»Oh nein!«, antwortete Leonard. »Wir haben sie 1958 gefunden. Dein Vater hatte mit dieser Schatulle nichts zu tun. Zumindest damals nicht.«
Rick runzelte die Stirn.
»Der Fischer, der sie fand, erkannte die Initialen der Familie Moore. Und weil die Villa Argo damals unbewohnt war, wurde die Schatulle ins Mausoleum gebracht und vergessen.«
»Und dort haben wir sie gefunden«, schloss Nestor.
»Und was war darin?«, wollte Rick wissen.
Die beiden Männer sahen sich an. Sie erinnerten sich nur zu gut an ihren alten Schwur. Dann aber sagte Leonard: »Sieben Schlüssel: Pferd, Löwe, Mammut, Katze, Affe, Wal und Drache. Ich weiß noch, wie wir alle im Turtle Park im Gras saßen und sie bewunderten. Jeder wollte sie berühren und sie sich ganz genau anschauen. ›Das ist der Schatz, von dem ich euch erzählt habe‹, sagte Klytämnestra zu uns.«
»Und was habt ihr mit ihnen gemacht?«
»Das, was uns damals am logischsten erschien«, sagte Leonard. »Wir teilten sie unter uns auf und schworen uns, über unser Abenteuer bis in alle Ewigkeit zu schweigen. Ich wählte den Schlüssel mit dem Mammut.«
»Black den mit dem Pferd«, erinnerte sich Nestor.
»Klytämnestra den Katzenschlüssel, den sie später an Oblivia weitergab.«
»Peter Dedalus den Löwen«, vermutete Rick.
»Pater Phoenix nahm den Schlüssel mit dem Affen, Kalypso den mit dem Wal.«
»Und du?«, fragte Rick Nestor.
»Den Drachen.«
Eine Weile herrschte Schweigen, bis Rick fragte: »Und die anderen Schlüssel? Die vier Schlüssel der Villa Argo? Dachs, Reh, Esel, Hase?«
»Sie waren nicht in der Schatulle.«
»Und wo waren sie?«
»Sie warteten«, erwiderte Nestor.
»Worauf?«, fragte Rick leise.
»Dass die Villa Argo einen neuen Besitzer bekam.«
»Die vier Schlüssel kamen zwölf Jahre später«, erzählte der Gärtner weiter. »Als mein Großvater gestorben war und ich mit meinem Vater herzog. Sie waren in einem hübschen kleinen Paket, das an den ›hoch geschätzten Eigentümer der Villa Argo‹ adressiert war. Mein Vater ließ es mich öffnen.«
Rick schüttelte fassungslos den Kopf. »Genauso war es auch bei Julia und Jason.«
»Sehr richtig«, bestätigte Nestor mit einem bitteren Lächeln.
Rick nahm die Taucheruhr in die Hand, die vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte. »Und was hat mein Vater mit alldem zu tun?«
»Die Schatulle mit den sieben Schlüsseln konnte am Strand angespült werden«, erklärte Leonard, »weil jemand sie ins Meer geworfen hatte. Oder dort versteckt hatte.«
»Raymond Moore?«, riet Rick.
»Aus Gründen, die wir nicht kennen, hatte derjenige, der die Türen und Schüssel wiederentdeckt hat, beschlossen, andere daran zu hindern, sie zu benutzen.«
»Wie bei uns«, stellte Rick fest. »Indem ihr die Eisenbahn stillgelegt, die Straßenschilder entfernt, die Reiseführer aus dem Verkehr gezogen habt.«
»Stimmt.« Nestor nickte.
»Und das war dumm«, gab Leonard zu.
»Warum?«, fragte Rick.
»Weil wir das nicht hätten tun sollen«, antwortete der Leuchtturmwärter.
Nestor packte ihn am Handgelenk. »Wir brauchen nicht schon wieder darüber zu diskutieren, was wir hätten tun und was wir hätten lassen sollen.«
»Ach ja?«, polterte Leonard. »Soll ich dich vielleicht dafür beglückwünschen, wie toll du uns auf die Nerven gegangen bist, bis wir sämtliche Karten, Bücher, Gedichte und Zitate, in denen Kilmore Cove nur erwähnt wurde, zusammengesucht und vernichtet hatten? Und zwar nicht nur die aus unserer Zeit, sondern sämtliche Hinweise, auch die aus der Vergangenheit. Und anschließend alles über die Orte, die untereinander durch die Türen zur Zeit verbunden sind?«
»Wie zum Beispiel alte Urkunden in der Bibliothek von Punt?«, mischte sich Rick ein.
»Die auch, natürlich!«, sagte Leonard wütend.
»Leonard, das reicht! Wir haben gearbeitet, während du …«
»Während ich was?«, entgegnete Leonard und lehnte sich über den Tisch zu Nestor hinüber.
Der alte Gärtner wich nicht zurück, sondern senkte den Kopf wie ein Stier, sodass die beiden über den Tisch hinweg mit den Köpfen
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