Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
Ich auch.«
»Wir haben ja ganz schön was erlebt, nicht wahr?«
»Das kannst du laut sagen«, meinte Anita und grinste.
Eine Weile half sie Mrs Banner und kehrte dann zu ihrem Vater zurück. Er war wach und hatte ganz offensichtlich Lust, sich mit ihr zu unterhalten. »Habe ich dir schon von der Bahnfahrt zusammen mit Black erzählt?«
»Nein, noch nicht.«
»Also, es war … unglaublich! Wir sind mit dieser schwarzen Lok durch die Nacht gerast, in einem irren Tempo! Auf Gleisen, die aus dem Nichts zu kommen schienen. Es war wie in einem Traum oder wie in einem Film … einem Kinderfilm. Wie in einem dieser Filme, an die man sein Leben lang denken muss.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so romantisch bist!« Anita lachte.
»Weil ich in einer Bank arbeite?«, erwiderte ihr Vater grinsend. Dann wurde er wieder ernst und sah ihr in die Augen. »Ich weiß, dass wir uns nicht besonders nahe gestanden haben, Anita. Und dass ich fast immer nur an die Arbeit denke. Und dann der Umstand, dass ich in London wohne, während ihr beiden in Venedig seid … Das ist einfach absurd! Und deshalb bin ich froh, dass ich in diese Lok eingestiegen und hierhergekommen bin, um dich zu suchen.«
Anita spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und zwang sich, sie zurückzuhalten.
Plötzlich hustete Nestor nebenan laut, setzte sich auf seinem Bett auf und schrie, ohne die Augen zu öffnen: »NEIN! WARTE AUF MICH! WARTE AUF MICH!«
Alle Leute ringsum erschraken und drehten sich nach ihm um.
»Wo soll ich in diesem Zustand schon hingehen?«, rief Miss Biggles zurück, die zwei Betten weiter lag.
Anita ging zu dem alten Gärtner hinüber. Seine Augen waren jetzt weit geöffnet, aber der Blick war leer, als würde er mit offenen Augen träumen. Geduldig überredete das Mädchen ihn, sich wieder hinzulegen. Sie drehte das feuchte Tuch um, das sie ihm auf die Stirn gelegt hatte.
Auf einmal erklang draußen vor der Klinik ein lauter Schreckensschrei.
Einige Leute rannten zum Fenster und schauten hinaus.
Anita sah ebenfalls nach draußen. Vor dem Eingang der Klinik hatte sich eine kleine Menschentraube gebildet und jetzt ging auch Ricks Mutter nach draußen.
»Bin gleich wieder da«, sagte Anita zu ihrem Vater. Sie lief durch den Saal zur Haustür, die sich auf den Hauptplatz von Kilmore Cove öffnete. Als sie sich einen Weg durch die Menge der Erwachsenen gebahnt hatte, die aufgeregt miteinander redeten und auf etwas oben auf den Klippen zeigten, blieb sie wie erstarrt stehen.
Sie traute ihren Augen nicht.
»Nein! Nein! Nein!«, rief sie mit wachsendem Entsetzen.
Vom höchsten Punkt der Klippen stieg eine dicke Rauchwolke auf. Eine schwarze Schlange, die zu den grauen Wolken am Himmel emporkletterte.
Die Villa Argo stand in Flammen.
Kapitel 30
Die Brücke
In den unterirdischen Gängen unter Salton Cliff drehte sich Rick kurz nach den anderen um, die hinter ihm gingen. Der rothaarige Junge hielt den Brandstifterschirm hoch, und die Flamme, die an dessen Spitze züngelte, warf ihr flackerndes blaues Licht auf das Gesicht von Julia, die direkt hinter ihm kam.
Es folgten der düster dreinblickende Voynich, die beiden verblüfften Gebrüder Schere und als Letzter Tommaso, der vollkommen überwältigt aussah.
Sie hatten sich dafür entschieden, über die Brücke mit den steinernen Tierfiguren hinunter bis zur Metis zu gehen. Doch als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, hörte Rick ein Geräusch. Ein äußerst beunruhigendes Geräusch: Die Tür zur Zeit der Villa Argo hatte sich geöffnet.
Aber das konnte doch nicht sein! Diese Tür blieb immer so lange verschlossen, bis die Reisenden zurückkehrten, die über ihre Schwelle getreten waren.
Er meinte, sich geirrt zu haben. Man kann eine Tür zur Zeit kein zweites Mal öffnen, dachte er.
Es war unmöglich.
Ein heftiger Luftzug strich an ihren Beinen vorbei.
Rick beschleunigte sein Tempo. Da hörte er ein zweites Geräusch. Ein anderes, ebenso unerklärliches: das Geräusch von Schritten.
Und es kam nicht von ihm und auch nicht von seinen Begleitern.
Es kam von weiter hinten. Jemand folgte ihnen.
Rick drehte sich wieder nach Julia um. Sie hatte die Schritte ebenfalls gehört und sah schockiert aus.
Auch die übrigen Mitglieder ihrer Expedition hatten das Geräusch inzwischen wahrgenommen. Aber keiner gab einen Laut von sich. Es war, als sei die Stille ihre einzige Waffe.
Rick ging weiter, und endlich, nach einer letzten Biegung des Ganges, erreichten sie
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