Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
Bowen?«, fragte ihn Malarius Voynich daraufhin mit brutaler Direktheit. »Ihr Hass auf die Familie Moore und auf die Türen scheint mir ein bisschen zu tief zu gehen. Für mich hört sich das nicht so an, als sei der einzige Grund für Ihr Handeln eine schwierige Kindheit.«
»Ich arbeite für niemanden!«
»Oder vielleicht hat jemand Sie gebeten, die Schlüssel einzusammeln und sie ihm zu übergeben. Bekommen Sie das denn auch gut bezahlt?«
»Ich wiederhole, dass ich für niemanden arbeite! Ich will einzig und allein die Türen und alles, was mit ihnen zu tun hat, ein für alle Mal
zerstören
.«
»Also nehmen wir mal an, dass Sie die Türen zerstören … Und dann? Was werden Sie dann unternehmen, Doktor Bowen?« Voynich machte ein neugieriges Gesicht.
Der Arzt sah ihn verblüfft an. »Nichts. Ich werde meine Frau holen und diesen verfluchten Ort für immer verlassen.«
»Mit anderen Worten: Sie haben gar keine konkrete Vorstellung davon, was Sie tun werden,
nachdem
Sie die Villa abgefackelt haben.«
»Äh … nein. Tatsächlich nicht.«
»Und Sie arbeiten für niemanden?«
Bowen schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Darf ich Ihnen eine letzte Frage stellen, Doktor Bowen?«, fuhr Voynich fort. Diese Angelegenheit schien ihn wirklich zu beschäftigen, er sah immer noch sehr neugierig aus. »Mit dem Schlüssel, den Sie da am Hals tragen, und all diesen Türen … Haben Sie da nicht vielleicht einfach nur aus Spaß nachgesehen, was auf der anderen Seite ist?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Voynich fort: »Ich glaube eigentlich: nein. Und wissen Sie, warum? Schreiben Sie zufällig? Und ich meine etwas anderes als Rezepte. Malen Sie? Spielen Sie ein Musikinstrument? Haben Sie Freunde? Haustiere? Eine Frau, die Sie von ganzem Herzen lieben? Nein, Sie haben nichts von alledem, nicht wahr? Das dachte ich mir schon. Aber können Sie mir dann erklären, was ausgerechnet Sie mit einem Schlüssel für alle Türen zur Zeit anfangen wollen, wenn Sie im Grunde überhaupt nichts interessiert?«
»Ach, ersparen Sie mir doch Ihre Gefühlsduselei, Voynich!«, knurrte Doktor Bowen. »Ich bin genau wie Sie!«
»Eigentlich nicht …«, murmelte der Chef der Brandstifter. Blitzschnell ergriff er den Schirm, den sich Julia über die Schulter gehängt hatte, und richtete dessen Spitze nach oben.
PFFFF!
Die Spitze des Schirms traf auf die Außenhaut von Dedalus’ Heißluftballon. Diese riss auf und sofort strömte die Luft heraus. Der Ballon schrumpfte zischend, und der Arzt schaute nach oben, um zu sehen, was da gerade über seinem Kopf passiert war.
Dabei senkte er die Waffe.
»Auf ihn!«, riefen die Gebrüder Schere.
Rick warf den Schirm weg und dessen Flamme erlosch.
Sofort war alles dunkel.
Man hörte Aufpralle und erstickte Schreie.
Dann einen Schuss. Alle erstarrten mitten in der Bewegung.
Voynich schaltete die Flamme des Schirms ein.
Doktor Bowen taumelte rückwärts.
In seinem Gesicht breitete sich ein Ausdruck des Staunens aus. Er sah aus wie ein Kind, das eine soeben erzählte Geschichte nicht glauben will.
»Sie … Sie …«, stammelte er und stolperte dabei über die eigenen Füße.
Er ergriff ein Seil, das neben ihm herunterhing, und hielt sich daran fest. Das lange Ende des Seils wickelte sich ihm wie eine Schlange um die Knöchel.
Im nächsten Augenblick fiel der zusammengefallene Ballon auf ihn. Dann stürzte die leere Ballonhülle, vom Gewicht des Korbes herabgezogen, in die Tiefe.
Malarius Voynich löschte seine Flamme.
Das Letzte, was sie sahen, war Doktor Bowens überraschtes Gesicht. In der Dunkelheit hörten sie etwas gegen die Brückenbrüstung krachen.
Der Chef der Brandstifter schaltete die Flamme seines Schirms wieder ein.
»Sehr gut«, sagte er unbeeindruckt. »Wollen wir jetzt mal zu dieser
Metis
gehen?«
Kapitel 31
Der silberne Spiegel
Der Weise, der Jason nach Agarthi gebracht hatte, ließ ihm in einem Lokal an einem Platz der Stadt einen Teller mit heißer, scharf gewürzter Suppe servieren.
Er vertraute ihm auch seinen Namen an: »Ich heiße Mallory.«
Nachdem sich Jason aufgewärmt hatte, liefen sie gemeinsam durch die Straßen der Stadt. Mithilfe von warmem Wasser, das in Röhren unter dem Pflaster floss, wurden sie eisfrei gehalten.
Sie gingen eine Straße entlang, die von hohen, schlichten Arkaden gesäumt wurde. Agarthi war eine stille, harmonische Stadt. Ihre zahlreichen Bewohner wirkten alle sehr gelassen. Niemand
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