Um die Wurst (German Edition)
Innenfutter des Hutes die Beule berührte.
»Sie werden doch sicher nichts dagegen haben, wenn wir morgen noch andere Kollegen befragen.«
»Nur zu. Mir ist wie Ihnen sehr daran gelegen, dass die Sache so schnell wie möglich aus der Welt ist und wir wieder zur Tagesordnung übergehen können. Morgen wird sowieso kaum normaler Unterricht stattfinden können. Schwarz war bei den Schülern sehr beliebt. Sie wissen schon: Neue Besen kehren besser.«
Gugel zuckte wieder mit den Schultern, doch diesmal gelang ihm sein Lächeln nicht ohne einen Zug von Bitterkeit.
Der Geruch von zehn Jahren Schulzeit hatte sich in seiner Nase eingenistet. Lag es daran, dass man die Fenster in dem Bau nicht richtig öffnen konnte, oder war es die Zusammensetzung von Schülerangstschweiß und dem immer gleichen Putzmittel?
Belledin wusste nur, dass es hier schon immer so gerochen hatte. Es war ein erhabenes Gefühl gewesen, im Rektorat zu sitzen und den Schulleiter zu befragen. Und dabei auch noch laut zu werden. Früher war er es immer gewesen, der Fragen zu beantworten hatte: Wer hat mit dem Fußball die Fensterscheibe des Kunstsaals zerschossen? Wer hat mit Wasserbomben aus dem dritten Stock auf die Autos der Lehrer geworfen? Wer hat mit der Prügelei begonnen?
Er wollte gerade die Schule verlassen und den Mief vergangener Tage mit Frischluft vertreiben, da trat ihm eine kleine ältere Frau entgegen. Ihr graues Haar war zu einem eleganten Pagenkopf geschnitten, die schwarzen Knopfaugen blickten wach aus dem aristokratisch blassen Gesicht, der zartrosa geschminkte Mund lächelte unverbindlich, als sie sich in der Tür gegenüberstanden.
Belledin war wie angewurzelt stehen geblieben, vergaß dabei, den Schritt zurückzugehen, um der Frau den Vortritt zu lassen. Sie schüttelte empört über solche Plumpheit den Kopf und machte sich daran, eine andere Tür zu nehmen.
»Denise«, stammelte Belledin.
Die Frau ließ den Türgriff los und sah Belledin fragend an.
»Ich meine, Madame Ardant«, verbesserte er sich.
Sie schien ihn nicht zu erkennen. Er lupfte seinen Hut und sagte: »Belledin, Französisch-Grundkurs, 1984.«
Ihre Gesichtszüge erhellten sich. Die schmalen Lippen spreizten sich zu einem Lächeln. »Ah, le beau Bello. Quel surprise. Qu’est-ce-que vous faites ici? Vous prenez la classe?«
»Oh, non, non, Madame, merci. Pour moi l’école est finis«, antwortete er, und er merkte, dass sein sonst sehr flüssiges Französisch hakte und stolperte, nur weil er besonders gut sprechen wollte. Lehrer blieben nun mal Lehrer. Man konnte sich ihrer nie entledigen. Sie waren schlimmer als Väter.
»L’école n’est jamais finis«, lächelte Madame Ardant.
»Da haben Sie wohl recht, Madame. Unterrichten Sie etwa noch immer?«
»Sehe ich denn so alt aus, dass ich schon in Pension müsste?«, fragte sie. Ihre flinken dunklen Knopfaugen erinnerten Belledin an ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem man in einer kleinen Dose zwei Kügelchen in ihre Löcher balancieren musste. Er war ganz gut darin gewesen. Und er hätte jetzt gerne Madame Ardant am Kopf gepackt, um ihre Äuglein zur Ruhe zu bringen.
»Nein, überhaupt nicht. Es ist wohl eher so, dass ich mich selbst schon so alt fühle und mir nicht vorstellen kann, hier noch einen Lehrer von damals anzutreffen«, versuchte Belledin die Kurve zu kriegen.
»1984, sagten Sie? Das ist wirklich schon lange her. ›Die Klasse von 1984‹, war das nicht das Motto eurer Abi-Fete? Ein Horrorfilm, wenn ich mich recht entsinne. Mit Kettensägen und Zombie-Lehrer-Puppen. Geschmacklos. Wessen Idee war das eigentlich? Ihre?«
Belledin schluckte. Er erinnerte sich an das Spektakel. Sie hatten Eimer mit blutroter Farbe verspritzt, Judas Priest dazu aufgelegt und Bierflaschen durch die Aula geworfen. Angestauten Aggressionen von zehn Jahren Notendressur hatten sie freien Lauf gelassen. Da war einiges zu Bruch gegangen. Belledin hatte den Film von Mark L. Lester nur einmal im Breisacher Kino gesehen. Kettensägen waren darin nicht vorgekommen, soweit er sich erinnerte, aber es hätte durchaus sein können. Er schämte sich nicht für damals. Es hatte ihm gutgetan, die Schautafeln des Chemiesaals mit der Axt zu zertrümmern, mit der er sonst zu Hause das Holz spalten musste, während andere Zeit hatten, für Chemie zu lernen. Hätte er etwa denen den Schädel einschlagen sollen? Da war es doch besser gewesen, sich am Chemiesaal auszutoben.
»Ich weiß nicht mehr so recht, von wem die Idee kam. Ich
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