Um die Wurst (German Edition)
getötet wird, umso mehr Profit. Es geht in der Massenhaltung zu wie am Fließband. Ich glaube, sogar bei der Autoherstellung nimmt man sich mehr Zeit als beim Schlachten von Vieh.«
»Das steht hier auch drauf.« Belledin deutete auf das Flugblatt.
»Ich weiß, Erik konnte große Metaphern schaffen.«
»Sie hinken und sind übertrieben«, warf Gugel ein.
»Wer übertreibt hier? Er wurde mit einem Bolzenschussapparat getötet, dann hat man ihm die Haut vom Gesicht gezogen. Das deutet doch offensichtlich auf die Metzgermafia hin«, rief Bärbel.
»Vielleicht zu offensichtlich. Aber wir werden in diese Richtung ebenfalls ermitteln. Hatte Schwarz eine Beziehung? Wir wissen nur, dass er ledig war.«
»Nicht dass ich wüsste. Jedenfalls ist mir nicht zu Ohren gekommen, dass er etwas mit einer Kollegin unserer Schule angefangen hätte«, sagte Gugel.
Bärbel sah ihn verdutzt an.
»Ja, so etwas lässt sich nur schwer verheimlichen. Wenn Sie mal so lange wie ich im Schuldienst sind, spüren Sie es, wenn es im Kollegium knistert. Es ist wichtig zu wissen, wer mit wem kann und wer nicht. Wie wollen Sie sonst ein so menschelndes Unternehmen führen?« Gugel zwinkerte amüsiert, und Bärbel war es so, als ob er damit auf ihren kurzen Flirt mit Geografielehrer Holger Koch anspielte.
Holger war verheiratet, hatte zwei Kinder und sich gerade ein Haus gekauft. Kredit mit langer Laufzeit. Beamtenfreundlich. Ein Gefangener auf Lebenszeit. Bärbel hatte sich nicht mehr erhofft, aber sie war dennoch über Wochen übel gelaunt gewesen, dass nicht mehr daraus geworden war. Es war Erik gewesen, der sie aus ihrem Liebes-Blues herausgeholt hatte. Durch ihn war ihr klar geworden, dass das Verliebtsein in Holger nur eine Kompensation fehlender Inhalte gewesen war. Mit Erik musste sie nicht ins Bett, sie hatten gemeinsame Ziele gehabt. Und nun war er tot.
»Vielleicht gibt es aber auch einen Kosmos außerhalb der Lehranstalt?«, befreite sich Bärbel mit einer kleinen Spitze, die den eng bemessenen Horizont ihres Chefs treffen sollte.
Gugel zuckte gelassen mit den Schultern. Eine Geste, die Bärbel schon oft zur Weißglut gebracht hatte. Der Direktor war groß darin, Argumente und Dispute mit einem schlichten Schulterzucken den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach dem Schulterzucken folgte in der Regel ein stoisches Lächeln, das Seneca Ehre gemacht hätte.
Bärbel ließ davon ab, mit ihm zu streiten, und drehte sich zu Belledin. »Ich bin mir sicher, dass es ein politischer Mord war«, sagte sie.
»Frau Engler, ich bitte Sie. Politischer Mord? Sie tun ja gerade so, als ob ihr verträumter Haufen von Vegetariern die neue RAF wäre.« Gugel verdrehte die Augen.
»Warum nicht? Wenn die Gegner zu solchen Mitteln greifen, kann es gut sein, dass auch wir uns bald anders zur Wehr setzen!« Sie war zu laut und merkte, dass Gugel sie genau dort hatte, wo er sie haben wollte. Sie war dem konservativen Lateinpapst schon lange ein Dorn im Auge. Nicht nur weil sie die Streitkultur im Kollegium pflegte, sondern auch weil sie den Lehrplan und die Didaktik der Altvorderen ständig hinterfragte und sich mit alternativen Unterrichtsmodellen beschäftigte.
Zweimal schon war sie von der Badischen Zeitung zum Thema Pisa interviewt worden, und beide Male hatte sie dabei versucht, so ehrlich und kritisch wie möglich zu sein, anstatt die Fahnen des Martin-Schongauer-Gymnasiums hochzuhalten. Das hatten ihr Gugel und einige andere Besserwisser nicht verziehen. Im Grunde stand sie im Kollegium allein. Die meisten hätten es gerne gesehen, wenn sie ihr Sabbatical bis zur Pension verlängert hätte. Auch Holger ging ihr aus dem Weg, seit sie wieder an der Schule war. Er mied sie so auffällig, dass sogar ein Blinder merken musste, dass sie etwas miteinander gehabt hatten. Nur Erik war ein Lichtblick gewesen.
»Gab es denn bereits gewalttätige Aktionen gegen die Metzgermafia ?«, unterbrach Belledin das angespannte Schweigen und kniff die Augen zusammen, während er auf eine Antwort von Bärbel wartete.
»Was soll das! Die haben Erik geschlachtet! Dort sitzen die Täter, und du fragst, ob wir etwas getan hätten? Ich fass es nicht.« Bärbel sprang von ihrem Stuhl auf, stürmte aus dem Zimmer und schlug die Tür so heftig hinter sich zu, dass am Fenster der Vorhang zitterte.
Gugel zuckte wieder mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
Belledin erhob sich, nahm seinen Stetson vom Hutständer und setzte ihn sich auf. Er zuckte leicht zusammen, als das
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