Um die Wurst (German Edition)
erinnere mich nur, dass es zwei Lager gab. Die einen plädierten dafür, George Orwell mit ›1984‹ als Motto zu nehmen, die anderen stimmten für den Film.«
»Und auf welcher Seite standen Sie?« Madame Ardant sah Belledin genauso herausfordernd an wie damals, wenn sie ihn nach dem Passé Composé befragte.
»Heute stehe ich auf der Seite von ›Big Brother‹.« Er grinste, dass ihn die Haare seines Schnäuzers im Nasenloch kitzelten. Dann zog er seinen Dienstausweis und hielt ihn Denise Ardant vors Gesicht.
»Und heute stelle ich die Fragen, alles andere ist plus-que-parfait«, setzte er nach. Er konnte sich diesen Satz nicht verkneifen. Er hätte ihn gerne einigen anderen Lehrern vor den Latz geknallt. Mit Denise war immer gut zu verhandeln gewesen. Ein paar Komplimente über ihre Frisur oder ihren vorzüglichen Kleidergeschmack, und man konnte die Fünf in eine Vier umwandeln. Mathelehrer Ripple oder Chemie-Guru Eisner hätte er da jetzt viel lieber vor der Flinte gesehen. Aber er gab sich auch mit einem kleineren Fisch zufrieden.
»Oh, là, là, Monsieur le commissaire! Was für einen Fall haben Sie denn zu lösen?«
»Den Mord an Erik Schwarz.«
»Er wurde ermordet?«, fragte sie, und es schien nicht so, als würde es sie sonderlich erschüttern. Ein Rotweinfleck auf ihrer Bluse hätte sie wohl mehr schockiert.
»Das scheint Sie kaltzulassen.«
»Ich kannte ihn kaum. Es werden heute ja an allen Ecken irgendwelche Menschen ermordet. Die Zeitungen sind voll davon. Das hat schon etwas Inflationäres, finden Sie nicht? Ein Leben ist kaum mehr etwas wert, bei sieben Milliarden Menschen. Und obwohl ständig Menschen sterben, wächst die Bevölkerungsanzahl in jeder Sekunde um drei Leben. Irgendwann ist man dann selbst tot, na und? Haben Sie noch weitere Fragen?«
»Im Moment nicht. Merci «, sagte Belledin und setzte sich seinen Stetson auf den Kopf. Wieder schmerzte die Beule und erinnerte ihn daran, dass er unbedingt herausbekommen wollte, wer ihm das Horn verpasst hatte.
Belledin sah Bärbel auf dem Parkplatz vor der Schule, wie sie mit einer Gruppe älterer Schüler redete. Sie drückte einem davon einen Karton in die Hand, stieg in ihren Wagen und fuhr davon. Belledin ging auf die Gruppe zu.
»Alles klar?«, fragte er.
Sie musterten ihn. »Geht dich das was an, Fleischfresser?«, fragte der Halbstarke, der den Karton entgegengenommen hatte, den er jetzt auf den Boden stellte. Sein Gesicht war von Akne gezeichnet, ansonsten hätte er hübsch sein können.
»Was du isst, kann auch nicht gesund sein«, sagte Belledin und spielte auf das picklige Gesicht des Jungen an. Der verzerrte seinen Mund und holte zum Faustschlag aus. Eine rotwangige Mitschülerin griff ihm in den Arm.
»Lass ihn, Joe. Vielleicht ist das einer von der Fleischmafia. Oder ein Bulle«, sagte sie.
»Na und? Gerade denen müssen wir zeigen, dass wir nichts fürchten. Die beschützen doch die ganze Lügenbrut.« Joe riss sich von dem Mädchen los, schien sich aber nicht mehr zu trauen, Belledin anzugehen. Dafür spuckte er vor ihm auf den Boden. Belledin registrierte, dass der Speichel knapp vor seinen Budapestern landete.
»Welche Klasse seid ihr?«, fragte er.
»Zwölfte. Da siezt man uns normalerweise«, sagte das rotwangige Mädchen, das seine dichten blonden Haare zu schmuddeligen Rastazöpfen verfilzen ließ.
»Hat euch Frau Engler von dem Mord an Erik Schwarz erzählt?«
»Was?« Der Picklige riss den Mund auf. Die drei anderen aus der Gruppe sahen sich fassungslos an, die Schlagfertige sank auf ihre löchrige Jeans.
»Mord? Erik ist ermordet worden?«, fragte ein Kleiner, dem Belledin sofort türkische Abstammung bescheinigte.
»Heute Morgen haben wir ihn gefunden. Jemand hat ihm mit einem Bolzenschussgerät das Hirn eingedrückt und ihm anschließend die Haut abgezogen.« Belledin wusste, dass er wie ein Boulevardblatt den Splatter der Tat hervorhob. Es war Kalkül. Er hoffte, durch die Brutalität der Tat Reaktionen hervorzulocken, die ihn weiterbrachten.
»Diese Schweine.« Joe hatte seine Sprache wiedergefunden. »Das zahle ich denen heim.«
»Wem?«
»Den Fleischfressern.«
»Etwas konkreter?«
»Euch allen.« Joe trat gegen den Karton auf dem Boden, dann rannte er davon. Flugblätter wirbelten durch die Luft, trafen Belledin im Gesicht. Das Mädchen mit den Rastas weinte.
Belledin wandte sich an den Türken. »Und? Ist dein Vater Gemüsemann oder verkauft er Döner?«
»Er ist Ingenieur. Ich bin vierte
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