Um die Wurst (German Edition)
Lügen, ohne doppelten Boden.
Jetzt aber konnte sie noch stillstehen. Sie hatte es versucht. Mit aufgeschnittenen Pulsadern, einer warmen Badewanne und einer Handvoll Schlaftabletten. Aber man hatte sie gefunden. Zufall. Wie so oft, wenn man diesen Weg als letzten wählte. Sie hatte vergessen, dass der frühe Freitagmorgen kein guter Zeitpunkt für einen Selbstmord war. Olga, die ukrainische Putzfrau, kam immer schon um sieben Uhr. Sie hatte sie finden müssen. Vielleicht hatte sie auch gewollt, dass man sie fand. Das wurde Selbstmordversuchern ihrer Art gern unterstellt. Ein Hilferuf. Na und? Dann war es eben einer gewesen. Hatte man ihn gehört? Wahrscheinlich. Jedenfalls war sie eingewiesen worden. Mehr aber war nicht passiert. Gehört hatte man sie, aber nicht verstanden.
Sie bremste vor dem Atelier. Ein Blick auf die Tanknadel sagte ihr, dass sie es noch bis nach Hause schaffen konnte. Und dann?
»Blödsinn«, sagte sie zu sich und drehte den Motor ab. Dann stieg sie aus und schlug die Tür zu. Von außen war nicht zu sehen, ob im Atelier noch Licht war. Sie atmete tief durch, stieg die Stufen zur Tür hoch und klopfte energisch. Jetzt hoffte sie, dass niemand öffnete. Und doch war sie froh, als sich die Tür zur Seite schob.
*
Belledin hatte es zweimal versucht. Aber es war bereits weit nach Mitternacht, Biggi schlief wie ein Stein. Da war nichts zu machen. Würde er sich eben bis kommenden Mittwoch gedulden.
Er stemmte sich aus dem Bett und knipste die Nachttischlampe an. An Schlaf war nicht zu denken, zu sehr beschäftigte ihn der Fall. Das, was Wagner ihm über Stark erzählt hatte. Plötzlich hatte sie für ihn an Wert gewonnen. Er kannte solche Frauen sonst nur aus dem Kino. Angelina Jolie hätte er so eine Rolle zugetraut. Aber Stark sah ganz anders aus, war überhaupt keine Jolie. Dafür war sie schlau. Eigentlich zu überqualifiziert, um an seiner Seite zu ermitteln. Belledin merkte, wie ihn das wurmte. Jetzt bedauerte er es, dass er den Ruf zu höheren Weihen stets hatte verhallen lassen, nur um sein geliebtes Baden nicht verlassen zu müssen. Die Heimatverbundenheit konnte auch eine Fessel sein. Killian war gegangen, und er hatte Abenteuer im Gepäck, mit denen er drei Monate Lagerfeuerrunden begeistern konnte. Auch Stark hatte ihren Roman. Er selbst hingegen wusste nur ein paar regionale Anekdoten aufzutischen, von der großen weiten Welt wusste er nichts zu erzählen. Aber nicht Killian und Stark, sondern er würde den Mörder von Schwarz und Ginter finden.
Er wollte an keine Geschichte von größerer Tragweite glauben. Nichts Politisches. Für ihn rochen die Fälle nach privater Abrechnung. Geld oder Liebe, vielleicht sogar beides. Dass Killian zusammengeschlagen worden war, war für ihn kein Grund, die Sache aufzublasen. Killian hatte geschnüffelt und seine Abreibung bekommen. Belledin spürte einen Hauch von Genugtuung. Es tat gut, dass dieser Superheld mal eine ordentliche Tracht Prügel bezogen hatte.
Trotzdem. Selbst wenn es nur eine Abreibung gewesen war: Killian konnte möglicherweise doch mehr wissen, als Belledin ahnte.
Er sah auf den Wecker. Viertel nach zwei. Jetzt konnte er nicht mehr zu Killian fahren. Aber schlafen konnte er auch nicht. Er sah auf Biggi. Sie kümmerte es nicht, dass Licht im Zimmer war. Ob er doch noch einen Anlauf wagen sollte? Sich im Schlaf an sie drücken? Dann würde ihre Lust schon kommen. Oder sie würde weiterschlafen und am Morgen denken, Wunder was geträumt zu haben.
Belledin lachte dreckig. Das Lied von der rauschenden Donau fiel ihm ein, und er sang: »Oho-o-olalla … ein schlafendes Mädchen im Grase ich fand.« Er ging aus dem Zimmer und stieg die Stufen zum Wohnzimmer hinunter. Western oder Krimi. Eins von beiden würde ihm die Schlaflosigkeit versüßen. Er entschied sich für »Der eiskalte Engel« mit Alain Delon. Melville war ein Meister der Einsamkeit.
ACHT
Stark hatte die Schiebetür des Ateliers geöffnet. Die ersten Strahlen der Frühlingssonne fielen herein. Nackt stand sie auf dem kalten Steinboden, bis ihre Füße einen kleinen Perserteppich fanden, der vor dem Barocksofa lag, auf dem sich ihre und Killians Kleider vermischt hatten.
Sie suchte sich ihre Kleidungsstücke heraus und zog sie an. Langsam. Bewusst ohne Hast. Sie wusste, dass es vorbei war, wenn sie angezogen war. Es gab nie ein zweites Mal. Seit Schewtschenkos Tod ertrug sie einen Mann nur für eine Nacht. Alles, was darüberging, geriet in den Verdacht einer
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