Um die Wurst (German Edition)
einem Hobby werden können, wenn er denn Zeit für ein Hobby gehabt hätte. Vielleicht wenn er in Pension war. Dann würde er sich eine richtige Profi-Dampfmaschine leisten und täglich Kaffee brühen, wie ihn die Welt noch nicht getrunken hatte. Vorher musste er allerdings zum Arzt gehen. Biggi drängte ihn ständig, sich durchchecken zu lassen. Wenn sein Herz nicht mitspielte, konnte er sein privates Kaffeehaus vergessen.
»Wo waren Sie gestern Morgen zwischen elf und zwölf Uhr?«, fragte Belledin und ahnte bereits, dass diese Frau sich nicht um ein Alibi kümmern musste.
»In der Sauna. Drei Freundinnen und ein Masseur können das bezeugen«, antwortete Bernadette.
Es war unumgänglich, dass Belledin sie im weißen Frotteehandtuch vor sich schwitzen sah. Noch deutlicher sah er allerdings, wie der Masseur das Fleisch dieser attraktiven Fünfzigjährigen durchknetete.
»Hatte Ihr Mann Feinde?«, zwang er sich zur Sachlichkeit.
»In der Innung gab es immer mal Ärger. Aber das ist normal. Wo es um Geld geht, wird gestritten.«
»Und die Tierschützer?«
Bernadette lachte. »Entschuldigen Sie. Aber diese Spinner hat mein Mann nie ernst genommen. Dazu gibt es viel zu viele Fleischliebhaber. Sie nervten ihn zuweilen, wenn sie vor dem Tor aufmarschierten und ihre verqueren Parolen skandierten. Wissen Sie, was er dann gemacht hat? Er hat ihnen mittags Wurstbrötchen bringen lassen. Und Sie werden es nicht glauben, die Tabletts waren anschließend leer.« Sie lachte wieder.
Kein Funke der Trauer. Als wäre der Tod ihres Mannes nichts anderes als der Wechsel eines Kleides. Was sie heute wohl getragen hätte, wenn ihr Mann nicht gestorben wäre? Belledin fand sie nun nicht mehr erotisch, sondern geschmacklos. Eine reiche Zicke. Eine Marie-Antoinette, die sich freute, dass ihr Volk Würstchen fraß. Wenn ihr Louis unter die Guillotine musste, war das eben so. Hauptsache, ein Lakai grapschte ihr an den Busen und fünf Höflinge glotzten sich die Augen aus dem Schädel. Am liebsten hätte Belledin ihr jetzt eine Ohrfeige verpasst, damit sie aus ihrem Opernball erwachte. Stattdessen stellte er die nächste Frage.
»Wo befindet sich Ihr Sohn?«
»Benedikt? Oder Paul?«
»Sie haben zwei? Ich dachte –«
»Paul ist aus erster Ehe. Da war ich achtzehn. Jung und naiv, Sie verstehen. Ein Urlaub in Brasilien, das ging ganz schnell. Reicher Viehzüchter, schmucker Mann. Und schon war’s passiert. Vier Jahre war ich dort, dann habe ich die Viehzucht nicht mehr ertragen. Zum Glück kam Gerhard. Er war damals noch Viehhändler. Ich habe mich ihm an den Hals geworfen und bin mit ihm nach Deutschland. Hätte ich gewusst, dass ihm das Reisen keinen Spaß mehr machte, ich hätte es mir überlegt. So war es aber besser als nichts. Ist zwar kein Schloss, aber ganz hübsch hier, oder? Man kann leben.«
Ihre Direktheit überforderte Belledin.
»Ihr erster Sohn, ist der noch in –«
»Brasilien? Ja. Er hat das Geschäft seines Vaters übernommen. Es geht ihm wohl ganz gut. Aber wirklich etwas mit ihm zu tun habe ich nicht. Mit Benedikt übrigens auch nicht. Ich habe sie beide geboren, das ist alles. Gekümmert haben sich andere um sie. War wohl besser so. Immerhin ist aus beiden etwas geworden.« Wieder lachte sie.
Langsam kam Belledin der Verdacht, dass Bernadette auf Hysterie gebettet lag.
»Und wo ist Benedikt jetzt?«
»In Polen. Er verhandelt dort mit einigen Viehzüchtern. Kleine Fingerübungen, hat es mein Mann immer genannt. Er hat Benedikt kurzgehalten, wollte nicht, dass er ihm zu früh über den Kopf wächst. Und Benedikt konnte es gar nicht erwarten, endlich größer in den Laden einzusteigen. Er hatte wohl einiges an Verbesserungsvorschlägen, die bei seinem Vater nicht auf Gehör stießen. Jetzt kann er sie umsetzen.«
»Was für Verbesserungsvorschläge?«
Bernadette hob ihre wohlgeformten Schultern. »Vermutlich irgendetwas, womit man mehr Geld verdienen kann. Gerhard war noch vom alten Schlag. Für jeden sollte etwas abfallen. Sehr seriös und sehr konservativ. Benedikt geht es nur um Profit. Viel Geld für wenig Arbeit. Da kommt er nach der Mutter.« Ihr Lachen verzerrte sich für einen Moment zur Fratze. Belledin erschrak. So etwas kannte er bislang nur aus schlechten Träumen. Die Verzerrung verschwand, wie sie gekommen war. Bernadettes Gesicht hatte sich wieder geglättet, die maskenhafte Schönheit war zurückgekehrt.
»Noch einen Kaffee?«, fragte sie, und die Pupillen ihrer blaugrauen Augen weiteten
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