Um die Wurst (German Edition)
Oberschenkel. Sofort schob sie ihre Handkante unter sein Kinn und zog mit der anderen die Pistole. Sie entsicherte die Waffe und blitzte ihn an. Seibert wich zurück. Braveheart knurrte.
»Fassen Sie mich nicht an«, sagte Stark leise.
Seibert hielt die Hände beschwörend in die Höhe. »Entschuldigung. Ich wollte Ihnen nur helfen.«
Stark sicherte die Walther wieder und steckte sie ein.
»Wir sind gleich draußen. Dann können wir die Straße nehmen.« Er zeigte mit der Hand in die Richtung, in die es gehen sollte.
Stark folgte ihm. Nach etwa zweihundert Metern erreichten sie die Zufahrtstraße zum Aussiedlerhof. Stark klopfte sich den Waldboden von den Stiefeln. Anklingeln brauchte sie nicht. Zwei Schäferhunde schlugen Alarm, Braveheart antwortete mit Gebell. Ein kräftiger Bauer im karierten Holzfällerhemd und Händen wie Baseballhandschuhe trat aus dem Haus. Eine Lampe erleuchtete ihn und warf seinen großen Schatten auf den Hof.
»Seibert, was gibt’s so spät?«, fragte Fritsch.
»Polizei.«
Fritsch lachte. Er mochte es für einen Scherz halten. Die Schäferhunde kümmerten sich nur kurz um Stark, dann balgten sie sich mit Braveheart. Fritsch sah neugierig zu Stark, dann fragend zu Seibert.
»Polizei? Willsch mich verscheißern? Wer isch die Frau?«
»Kripo Freiburg«, sagte Stark, stellte sich breitbeinig vor Fritsch und hielt ihm ihren Ausweis unter die Nase.
Er nahm ihn in die Hand und hielt ihn ins Licht. Dann nickte er und gab ihr den Ausweis zurück. »Und?«, fragte er. »Was verschafft mir die Ehre?« Er zwinkerte Seibert zu.
»Sie will wissen, ob –«
»War Herr Seibert heute Morgen zwischen elf und zwölf Uhr bei Ihnen?« Es gefiel ihr nicht, dass Seibert das Wort übernehmen wollte. Sie fürchtete Suggestion.
Fritsch sah Seibert fragend an. Dann drehte er sich zu ihr. »Hejo, wie jede Morge.«
»Aber gestern war er nicht hier.«
Fritsch war sich unschlüssig, wie er antworten sollte. Er wartete auf ein Zeichen Seiberts.
»Nein. Aber das wissen Sie doch«, sagte Seibert.
»Ich wollte es von Herrn Fritsch hören. Hätte ja sein können, dass er Ihnen auch für gestern ein Alibi bescheinigt, dann wäre das hier jetzt wenig wert gewesen.«
»Das ist billig. Wenn Sie so zu Ihren Tätern kommen wollen, wünsche ich Ihnen viel Glück.« Seibert war lauter geworden. »Genau das ist es, was ich meine. Keine Klarheit. Mit Vermutungen und Fangfragen an irgendein schnelles Ziel. Aber mit Wahrheit hat das nichts zu tun.«
»Der Zweck heiligt die Mittel. Mir ist auch ein Geständnis recht.«
»Ich glaube, das war’s wohl, oder?« Seibert wandte sich zu Fritsch. »Noch eine Partie Schach?«, fragte er.
Fritsch sah zu Stark, zögerte und blickte dann fragend wieder zu Seibert.
»Sie findet den Weg allein zurück«, sagte Seibert.
»Gut. Ich nehme diesmal Weiß.«
»Dann bleibt mir nur Schwarz.« Er hielt inne. »Hieß so nicht der Tote von gestern?« Damit ließ er Stark stehen und ging ins Haus. Fritsch nickte und verschwand ebenfalls darin. Einen Moment später wurde das Hoflicht abgeschaltet, und Stark stand im Dunkeln. Nur das Balgen der Hunde war zu hören. Sie ging vom Hof. Diesmal entschied sie sich für den längeren Weg auf der Straße.
Seibert hatte für Ginters Mord ein Alibi. Sympathisch war er ihr deswegen aber nicht. Ein erfolgloser Schreiberling und selbstgerechter Moralapostel, dem es gutgetan hatte, sie in der Dunkelheit durch den Wald zu führen und dabei ihre Unsicherheit zu spüren. Gerne hätte sie ihm was angehängt. Aber gegen die Aussage von Fritsch konnte sie nichts tun.
Sie stieg in ihren Wagen und fuhr los. Ohne Musik, dafür mit einer Zigarette im Mund. Sie fuhr an ihrer Wohnung vorbei und bog auf den Zubringer in Richtung Umkirch. Sie wollte nicht nach Hause, konnte jetzt nicht allein sein. Und sich in irgendeiner Kneipe besaufen, um dann einen Typen abzuschleppen, von dem ihr noch vor Morgengrauen übel werden würde – das wollte sie am allerwenigsten. Also bretterte sie die Strecke zurück, die sie vor zwei Stunden gefahren war.
Sie rauchte und überlegte, ob sie vor dem Atelier auch wieder kehrtmachen würde. Sie könnte das Spiel dann so lange treiben, bis der Tank leer war. Ihr eigener Tank fuhr ohnehin schon lange auf Reserve. Sie war erstaunt darüber, dass ihr Motor noch immer lief und lief und lief. Irgendwann würde er anfangen zu stottern und dann schließlich trockenliegen. Dann wäre sie dort, wo sie sein wollte. Bei Schewtschenko. Ohne
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