Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
fuhr ich über den Innenhof zu meinem Parkplatz. Ein ganz normaler Freitag.
Manfred, unser Kommissariatsleiter, machte Urlaub an der Nordsee, und ich sollte ihn vertreten. Ich lief die drei Stockwerke hinauf und roch sogleich den frisch aufgegossenen Kaffee. Damit wusste ich, dass Angelika, die gute Seele der Dienststelle, wie immer früh gekommen war und sicher schon den ganzen Papierkram ausgedruckt und geordnet haben würde. Nachdem ich meine Jacke in mein Büro gebracht hatte, ging ich in Manfreds großräumiges Zimmer und setzte mich hinter den grauen Schreibtisch, schaltete den Computer ein und las die Berichte des KDD, des Kriminaldauerdienstes. Die chronologisch aufgelisteten Fälle des Tagdienstes vom Vortag und der letzten Nachtschicht gaben mir einen Überblick, was in den vergangenen 24 Stunden außerhalb meines Kommissariates in Frankfurt passiert war.
Es war nichts Spektakuläres dabei, Frankfurter Geschichten eben:
Am Donnerstagnachmittag eine Todesursachenermittlung. Ein 62-jähriger alleinlebender Mann wurde von seiner Tochter tot im Bett aufgefunden. Da der hinzugerufene Notarzt die Vorerkrankungen des Mannes nicht kannte, kreuzte er »Todesursache ungeklärt« an. Im Gespräch mit Angehörigen stellte sich heraus, dass der Verstorbene an Asthma und Bluthochdruck gelitten und auch schon einen Schlaganfall gehabt hatte. Da es sonst keine Anzeichen dafür gab, dass jemand »nachgeholfen« hätte, war der Fall schnell erledigt.
Gegen 18.15 Uhr war eine Bäckerei in der Ronneburgstraße überfallen worden. Ein weißer und ein farbiger Täter. Der Weiße hatte sich mit einer schwarzen, gestrickten Motorradmütze maskiert, bedrohte die irakische Angestellte mit einer Schusswaffe und forderte: »Geld her, schneller, schneller!« Der Farbige wartete an der Tür. Das Ganze wegen 210 Euro. Ein Vorgang für die Ermittlungsgruppe 2. Ihr Leiter war Olli Korn. Zusammen mit seinen fünf Leuten war er zuständig für die Aufklärung von Raubüberfällen in Wohnungen und auf Geschäfte.
Ein paar Minuten nach Mitternacht ein Familiendrama: Eine 36-jährige Rumänin war aus dem Fenster ihrer Wohnung im dritten Stock gestürzt und hatte sich schwer verletzt. Eine Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann sollte dem vorausgegangen sein. Sie dachte, er sei bei einer anderen Frau gewesen. Mordversuch? Nein, die Jungs vom KDD brachten sehr schnell in Erfahrung, dass der Mann der Auseinandersetzung aus dem Weg gehen wollte und das Haus verlassen hatte.
»Dann springe ich eben!«, schrie die Frau in die Nacht. Als der Ehemann das hörte, rannte er zum Haus zurück, sah seine Frau am Geländer vor dem Wohnzimmer hängen. Sie stürzte ab, bevor er sie erreichen konnte.
Danach schaute ich die von Angelika ausgedruckten und sortierten Vorgänge durch, brachte kurze Vermerke an, aus denen hervorging, wer was machen sollte, und gab sie Angelika zurück. Sie verteilte die Papiere in den Fächern der Mitarbeiter und leitete ihnen die Vorgänge auch noch elektronisch zu.
Insgesamt hatte ich eine gute Stunde zu tun. Anschließend ging ich zu meiner eigentlichen Arbeit als Ermittlungsgruppenleiter über. Seit 2001 war ich stellvertretender Kommissariatsleiter und zusätzlich Leiter der Ermittlungsgruppe 1 des K 12, deren Aufgabe es war, Raubüberfälle auf Geldinstitute, Poststellen und Geldtransporter aufzuklären.
Um 8.30 Uhr setzte ich mich mit Silke, Achim, Bodo und Astrid zusammen. Wir trafen uns regelmäßig jeden Morgen in Achims Büro. Es war größer, weil es für zwei Sachbearbeiter vorgesehen war. Außer den beiden Schreibtischen stand links neben der Tür noch ein kleiner Tisch mit vier Stühlen.
»Astrid, was macht das Rechtshilfeersuchen nach Italien?«, fragte ich. Wir hatten im vergangenen Februar Täter gefangen genommen, die einen Überfall auf einen Geldtransporter verübt hatten. Beute: acht Millionen Euro. Bei den Tätern handelte es sich um Angehörige einer Gang aus Frankfurt-Nied. Zwei der Haupttäter waren Italiener und hatten sich in ihr Heimatland abgesetzt.
»Ich kann es dir nicht genau sagen. Soweit ich weiß, ist es schon auf den Weg gebracht worden. Ich werde aber nochmal bei der Staatsanwaltschaft nachfragen.«
»Okay, wir müssen uns dann noch überlegen, wer nach Rom fliegt.«
»Ich flieg freiwillig!«, rief Achim. Ich grinste, weil ich wusste, dass jeder gerne fliegen würde.
Wir sprachen über verschiedene andere Vorgänge, bevor ich in mein Büro ging und mich mit meinen eigenen Akten
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