Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
politischen Urteil bezahlten. Ich möchte beschreiben, was war, und daran glauben, dass unser Justizsystem sich nicht dauerhaft von diesem heimtückischen, eiskalten und gewissenlosen Verbrecher blenden lassen wird.
21. Dezember 2004, 9.10 Uhr
Im Namen des Volkes
Urteil
In der Strafsache gegen
1. den Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner
geboren am 03.04.1943 in Happareute
2. den Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit,
geboren am 24.08.1953 in Castrop-Rauxel.
hat die 27. Große Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main aufgrund der am 18. November begonnenen Hauptverhandlung, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Landgericht Stock
als Vorsitzende,
Richter am Landgericht Michalke und
Richter am Landgericht Rögler
als beisitzende Richter,
Kurt Schmidt und Emil Hohmann als Schöffen,
Staatsanwalt Möllers
als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Hild und Rechtsanwalt Dr. Steinke
als Verteidiger des Angeklagten Daschner,
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Dr. Simon
als Verteidiger des Angeklagten Ennigkeit,
Justizangestellte Schäffner
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle.
am 20. Dezember 2004
für Recht erkannt:
Der Angeklagte Ennigkeit ist der Nötigung schuldig.
Der Angeklagte Daschner ist der Verleitung eines Untergebenen zu einer Nötigung im Amt schuldig.
Die Angeklagten werden verwarnt.
Die Verurteilung zu einer Geldstrafe, für den Angeklagten Daschner von 90 Tagessätzen zu je 120,-- Euro und für den Angeklagten Ennigkeit von 60 Tagessätzen zu je 60,-- Euro, bleibt vorbehalten.
Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Angewandte Vorschriften §§ 240 Abs. 1 und 2, 357 Abs.1, 59 Abs. 1 StGB
Wir sind mit Vorbehalt verwarnt, nicht vorbestraft, im Namen des Volkes, das dieses Urteil nicht wollte und auch nicht verstehen konnte, im Namen des Gesetzes.
»Der Angeklagte Ennigkeit ist der Nötigung schuldig. Der Angeklagte Daschner ist der Verleitung eines Untergebenen zu einer Nötigung im Amt schuldig.« Die Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Das Urteil wurde sofort rechtskräftig, da wir nach Rücksprache mit unseren Anwälten sowie die Staatsanwaltschaft auf weitere Rechtsmittel verzichtet hatten. Wolfgang Daschner konnte nicht mehr, seine Familie konnte nicht mehr. Die monatelange Durchleuchtung ihres Privatlebens durch die Medien, die zwei Jahre dauernde teilweise unwahre und populistische Berichterstattung, die Diffamierungen und gewollten Übertreibungen sowie die daraus resultierenden Morddrohungen grenzten an psychische Gewalt und hatten sie ausgelaugt.
Ich wollte auch nicht mehr, die monatelange Ungewissheit hatte mich zermürbt.
Es ist Gerechtigkeit geübt worden, so heißt es doch, »Gerechtigkeit üben«. Wir sind nicht freigesprochen worden, wir sind und bleiben schuldig. Wir sollen die Menschenwürde eines Mörders verletzt haben, weil wir die Menschenwürde eines elfjährigen Jungen bewahren und sein Leben retten wollten.
Wer seit über 30 Jahren als Polizist arbeitet, hat keine Illusionen mehr, hat zu viel erlebt, zu viel im Elend gewühlt, dem Abstoßenden, Unmenschlichen ins Auge geschaut.
Und trotz allem glaube ich, dass kein Mensch als Mörder, Vergewaltiger, Folterer oder Kinderschänder geboren wird. Ohne diese grundsätzliche Einsicht könnte ich meine Arbeit nicht machen. Wenn ich einem Verdächtigen im Verhör gegenübersitze, ist das mein erster Gedanke. Damit ebne ich mir den Weg, einen Zugang zu ihm und eine Antwort, bisweilen auch ein wenig Empathie, zu finden. Ein Versuch, sich in seine Denkweise hineinzuversetzen. Je grausamer die Straftaten sind, desto schwieriger ist es. Und oftmals stehen dahinter furchtbare ungelöste traumatische Erlebnisse oder die absolute Morallosigkeit der Familie.
98 Prozent aller Tötungsdelikte werden im Affekt verübt.
Eine Entführung, ein Mord aus Geldgier, ist ein völlig anderer Fall. Ein kalkulierender Verstand plant monatelang minuziös jede Einzelheit des Tatablaufs. Verwischt Spuren. Kalt und überlegt nähert sich der Täter seinem Opfer, lockt es in die Falle.
Das widerliche Streben nach dem Reichtum des anderen wird über das Leben erhoben. Das ist eine Entscheidung aus freiem Willen.
Am 27. September 2002 öffnete mir die Pförtnerin im Polizeipräsidium Frankfurt um 7.15 Uhr die Schranken. Während ich mit meiner freien Hand nach dem Dienstausweis in der Jackentasche angelte, winkte sie mich durch. Ich freute mich, dass sie mich erkannt hatte. Langsam
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