Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
agiere. Es sei ein »grotesker Gedanke«, dass die Polizei in einer derart verschärften Situation angeblich nicht handeln dürfe und die Eltern des kleinen Jakob geholt werden müssten, weil sie als Angehörige dem Entführer drohen dürften.
Unbeeindruckt von allen sachlichen und rechtlichen Argumenten, verkündete die 27. Große Strafkammer des Landgerichts am 20. Dezember 2004 »im Namen des Volkes« ihr Urteil: »Der Angeklagte Ennigkeit ist der Nötigung schuldig. Der Angeklagte Daschner ist der Verleitung eines Untergebenen zu einer Nötigung im Amt schuldig. Die Angeklagten werden verwarnt. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe, für den Angeklagten Daschner von 90 Tagessätzen zu je 120,-- Euro und für den Angeklagten Ennigkeit von 60 Tagessätzen zu je 60,-- Euro, bleibt vorbehalten. Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.« Das Gericht hatte »gerichtet«, nicht »Recht gesprochen«. Oskar Lafontaine kommentierte:
»Im Namen des Volkes wurde das Urteil nicht gesprochen. Die Deutschen wollen, dass die Polizei das Leben der Opfer rettet. Opferschutz geht vor Täterschutz. Das Frankfurter Fehlurteil verhindert das richtige Vorgehen der Polizei. Die Konsequenz ist: Wenn wieder ein Kind entführt wird, darf die Polizei dem Täter keine Gewalt androhen, um den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren. Auch dann nicht, wenn so sein Leben gerettet werden könnte. Ein Kind, das nichts zu essen und zu trinken hat, wird gefoltert und kann qualvoll sterben. Dem Täter darf die Polizei nichts tun. So wird ein richtiges Prinzip, das absolute Folterverbot, zu Tode geritten. Scheinbare juristische Korrektheit hilft in diesem Fall nicht weiter. Das Urteil verlangt nach einer Revision. Es darf keinen Bestand haben …«
Wolfgang Daschner sagte mir, dass uns unser Dienstherr den Rechtsschutz für ein Berufungsverfahren verweigert hatte (während dem Mörder das Recht eingeräumt werden musste, auf Kosten des Steuerzahlers gegen denselben Dienstherrn alle auch noch so unsinnigen Rechtsmittel auszuschöpfen). Gute Anwälte kosten einiges, der Ausgang der Revision war unsicher, so dass wir darauf verzichteten.
Wir hätten sie auch wegen der Fortdauer der Medienkampagne weder uns noch unseren Familien zumuten können. Und was hätten wir letztlich von einem Bundesverfassungsgericht erwarten können, dessen Vizepräsident den »Folterstaat« an die Wand gemalt hatte und bei jeder sich bietenden Gelegenheit medienwirksam verkündete, die Einwirkung auf die Menschenwürde eines Mörders zur Rettung seines Opfers sei ein »Verbrechen«!?
Wir nahmen das Urteil an, es wurde rechtskräftig.
Am 4. Dezember 2004 schrieb Staatsanwalt Möllers an Rechtsanwalt Hild, er dürfe »höflich bitten, den oder die Gesprächsteilnehmer des Beschuldigten Daschner am 30.09.2002 abends sowie 01.10.2002 morgens aus dem Hessischen Ministerium des Innern oder anderer Landesbehörden zum Komplex ›Instrumente zeigen‹ namentlich zu benennen«. Hild lehnte dies »im Hinblick auf den Inhalt unseres Schriftsatzes vom 27.11.03 und das eindeutige Ergebnis des Gutachtens von Herrn Prof. Dr. Prittwitz derzeit« ab, das weder den Vorwurf der Aussageerpressung noch den der schweren Nötigung als gegeben sah.
Auch in der Hauptverhandlung machte Daschner zu seinem Gesprächspartner keine Angaben: »Ich möchte verhindern, dass weitere Personen in dieses Verfahren einbezogen werden, und dass sie und ihre Familien einer Kampagne ausgesetzt werden, die meine Familie und ich seit nunmehr 21 Monaten zu ertragen haben.«
War es für die Staatsanwaltschaft wirklich nicht möglich, dieses Rätsel zu lösen und den großen Unbekannten zu identifizieren? Oder wollte sie es nicht? Wie konnte es geschehen, dass Daschners Gesprächspartner vom 30. September 2002 so lange unbekannt blieb?
Der Staatsanwalt hätte nur in den ersten Seiten der Gäfgen-Verfahrensakte blättern müssen. In seinem Vermerk vom 27. September 2002, dem Tag der Entführung, hatte Vizepräsident Daschner den Informationsweg zwischen der Hausspitze des Innenministeriums und der Behördenleitung des Polizeipräsidiums Frankfurt klar definiert. Den Strafverfolgungsbehörden lag seit dem 27. September 2002 ein Vermerk Daschners vor, in dem der Informationsweg zwischen dem amtierenden Innenminister und der Behördenleitung des Polizeipräsidiums Frankfurt detailliert festgelegt war. Und wenn auch das noch nicht gereicht hätte – ein Anruf von Staatsanwalt Möllers bei Staatssekretär
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