Um Leben Und Tod
nicht glaubwürdigen â Darstellung eines Mordverdächtigen, die unter sehr fragwürdigen Umständen zustande gekommen war, und deren Urheber in dem laufenden Strafverfahren ständig neue Lügen und falsche Anschuldigungen produziert hatte. Und der Aktenvermerk des Vizepräsidenten enthielt die klare Aussage, dass die Durchführung der angeordneten MaÃnahme »entbehrlich« geworden sei.
»Die Vorverurteilung ist eines der Krebsgeschwüre eines jeden Rechtssystems und wirkt sich in einer immer mehr von verschiedenen Medien beobachteten Rechtswirklichkeit ⦠auch in deutschen Strafprozessen aus«, schrieb die Rechtsanwaltskammer Schleswig-Holstein in der Einladung zu einer Podiumsdiskussion. Sie stützt sich dabei auf Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948:
»Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäà dem Gesetz nachgewiesen ist.«
Diese Erklärung wird ergänzt durch Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention: »Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.« Die Vermutung der Unschuld endet danach erst mit der Rechtskraft der Verurteilung.
Wir waren noch nicht einmal angeklagt â und trotzdem schon verurteilt. Hans Bachl hatte wohl, ebenso wie unsere Richter der 27. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts, vergessen, was sie in ihrem Richtereid geschworen hatten: »Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen.« (§ 38 Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes).
Staatsanwalt Möllers zeigte sich dem verurteilten Mörder Gäfgen gegenüber wesentlich groÃzügiger und entgegenkommender als zu uns. Am 10. Februar 2004 teilte er mit, dass er »dem Zeugenbeistand des Geschädigten, Herrn Rechtsanwalt Dr. Endres, antragsgemäà Akteneinsicht gewähren« werde. Immerhin räumte er eine zweitägige Frist für rechtliches Gehör ein; sollte »binnen zwei Tagen nach Zugang dieses Schreibens hierzu keine Erklärung eingehen«, werde er die Akteneinsicht vollziehen. Wir dagegen mussten monatelang auf die Akteneinsicht warten.
Gegen diese Verfügung legte Daschners Verteidiger Rechtsmittel ein mit der Begründung, dass Rechtsanwalt Dr. Endres als Zeugenbeistand kein Verfahrensbeteiligter sei und damit auch keine Berechtigung zur Akteneinsicht habe. Es bestehe die berechtigte Befürchtung, dass Endres seine bisher schon gezeigte Bereitschaft, sich in der Ãffentlichkeit zu äuÃern, fortsetzen werde; dadurch werde der Grundsatz des » Fair Trial « im Ermittlungsverfahren weiterhin nachhaltig verletzt.
Darüber hinaus könnte die Kenntnis des Akteninhalts zu weiteren unwahren Aussagen Gäfgens führen, der bereits »in dem gegen ihn anhängigen Verfahren mehrfach nicht nur die Unwahrheit gesagt, sondern auch der Wahrheit zuwider verschiedene Personen der ihm vorzuwerfenden Straftat beschuldigt hat«. Unabhängig davon sei die Vorgehensweise, vor der Entscheidung kein rechtliches Gehör zu gewähren, rechtsfehlerhaft; auch dadurch seien die Zweifel an der Neutralität der Staatsanwaltschaft verstärkt worden.
Die 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt hob daraufhin die Verfügung der Staatsanwaltschaft auf und untersagte die Gewährung der Akteneinsicht für Rechtsanwalt Endres.
Mit seinem Schreiben vom 27. November 2003 übersandte Rechtsanwalt Hild der Staatsanwaltschaft eine umfangreiche Stellungnahme zu den mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens erhobenen Vorwürfen und den Aussagen der Zeugen. Er fügte ein Rechtsgutachten des renommierten Professors Dr. Cornelius Prittwitz, Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, bei, der nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage zu dem Ergebnis gelangt war, dass der Vorwurf der Aussageerpressung unbegründet sei; in Rechtsprechung und Lehre sei es »nahezu unbestritten«, dass es an der von § 343 StGB geforderten Absicht fehle,
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