Um Leben Und Tod
Rechtssystem opfern?
Ungefähr so: Der Entführer will nicht sprechen, dann muss mein Kind eben sterben.
Nein, es muss nicht sterben, deshalb gibt es ja Gesetze zur Notwehr und Nothilfe, sie werden im polizeilichen Alltag auch angewendet.
Nur in unserem Fall wurde fälschlicherweise sofort von Folter gesprochen, wurde gleich vor einem deutschen Abu Ghraib gewarnt oder vor einem Rückfall ins Mittelalter oder ins Dritte Reich. Aus einem Einzelfall wurde ein Dammbruch konstruiert, der zu einem Folterstaat führen würde.
Das hat den Blick von den eigentlichen Tatsachen und Problemstellungen abgelenkt.
Ein Kind wird entführt und vieles spricht dafür, dass es lebt, wahrscheinlich nicht versorgt wird und sich in einer hilflosen Situation befindet. Die Lebenserwartung ohne Flüssigkeitszufuhr beträgt bei einem Kind maximal vier Tage. Der Entführer wird gefangen und behauptet, das Kind lebe und sei bewacht. Er sagt aber nicht, wo sich das Kind befindet. Die Zeit läuft ab. Der Entführer beschuldigt unschuldige Menschen. Tausend Polizisten, die er bewusst belogen hat, suchen an falschen Ãrtlichkeiten nach dem Kind. Was tun? Das Kind aufgeben und im Versteck zugrunde gehen lassen oder versuchen, den Verbrecher zum Reden zu bringen?
Hätte der Staat, vertreten durch seine Polizei, diesen Zustand nicht zu beenden versucht, obwohl er aufgrund seines Gewaltmonopols dazu verpflichtet war, dann hätte er sich an der vom Täter ausgeübten »Folter« â juristisch und moralisch â mitschuldig gemacht. Es war deshalb die zwingende Aufgabe der Polizei, diesen vermeintlich noch andauernden Zustand unverzüglich zu beenden â mit allen verhältnismäÃigen und zweckmäÃigen Mitteln.
Das Recht auf Leben des kleinen Jakob und die Pflicht der Polizei zur Hilfe verwiesen auf § 32 StGB zur Notwehr und § 34 StGB Rechtfertigender Notstand.
Jakob und sein Schicksal rückten bald in den Hintergrund. In den Vordergrund rückte Gäfgen, der mit seiner Foltergeschichte die unendliche »Causa Daschner« initiiert hatte. Ich würde gerne das Ende dieser Geschichte erreichen, ein klares »Ja«, ein Menschenleben ist es wert, gerettet zu werden, es ist das höchste Gut. Ein Aus für dieses Foltermärchen, das unser Rechtssystem ins Lächerliche zieht und zukünftige Opfer der Hoffnung auf Rettung beraubt.
Ein Historiker aus dem elsässischen Colmar schrieb dazu: »Deutschland hat seine Affäre Dreyfus.« Er erinnerte an den französischen Offizier jüdischer Abstammung, Alfred Dreyfus, der 1894 aufgrund gefälschter Dokumente wegen Landesverrats verurteilt und deportiert wurde. Emile Zola löste vier Jahre später mit seiner Veröffentlichung Jâaccuse ( Ich klage an ) heftige innenpolitische und antisemitische Auseinandersetzungen aus, die zum Bruch zwischen Frankreich und dem Vatikan führten. Dreyfus wurde 1899 in einem neuen, öffentlichen Schauprozess zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, aber begnadigt; und es dauerte weitere sieben Jahre, bis er gänzlich freigesprochen und rehabilitiert wurde.
In unserem Fall waren es keine gefälschten Dokumente, sondern eine verfälschte Definition des polizeirechtlichen Begriffs »unmittelbarer Zwang«.
Politiker aller Schattierungen meldeten sich zu Wort und gaben dem Fall Bedeutung. Hier nur eine kleine Auswahl:
Oskar Lafontaine, der gelegentlich seine Freunde mehr fürchten muss als seine politischen Gegner, zeigte Mut und Menschlichkeit: »Der Staat darf nicht foltern. Er kann aber auch nicht tatenlos zusehen, wie ein Kind qualvoll stirbt. Der Frankfurter Polizeivizepräsident Daschner hat einem Entführer Gewalt angedroht, um das Leben seines Opfers zu retten. Er wusste nicht, dass das Kind schon tot war ⦠Wie vermeiden wir eine doppelte Moral? Wenn uns einer nach dem Leben trachtet, ist Verteidigung erlaubt. Geht es nicht anders, dann dürfen wir den Angreifer töten. Das gilt für Soldaten im Krieg und für die Polizei im Alltag. Daschner musste entscheiden, ob er untätig bleibt, wenn ein Verbrecher den Ort, an dem ein Kind mit dem Tode ringt, nicht preisgibt, oder ob er Gewalt androht und notfalls antut, um das Leben des Kindes zu retten. Seine Entscheidung war in diesem Ausnahmefall richtig. Ein Freispruch für die Folter ist das nicht.« ( Bild , 03.03.2003)
Auch Peter Gauweiler mahnte zur Sachlichkeit und beschrieb
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