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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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wenn die Erpressung ausschließlich zum Zwecke der Gefahrenabwehr erfolge. Auch der Tatbestand der Nötigung sei nicht gegeben, weil das Merkmal der »Verwerflichkeit« der Handlung nicht erfüllt sei. Darüber hinaus legte Rechtsanwalt Hild die bereits zitierten Stellungnahmen von zwölf weiteren namhaften Juristen vor, die zu derselben Bewertung gelangt waren.
    Im Ergebnis beantragte er die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO, weil die Ermittlungen nicht genügend Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage geboten hätten.
    Am 16. Januar 2004 berichtete die Bild -Zeitung, sie wisse aus sicherer Quelle: »Polizei-Vize Daschner muss büßen. Auch wenn es heute noch niemand bestätigen wird. Die offizielle Entscheidung fällt nämlich erst Mitte Februar.« Wenige Tage später, am 28. Januar 2004, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung , dass die Staatsanwaltschaft ihre »umfangreichen Ermittlungen und rechtlichen Überlegungen« zur Gewaltandrohung gegenüber dem unter Entführungsverdacht festgenommenen Magnus Gäfgen abgeschlossen habe.
    Aus der Zeitung erfuhren wir also, dass wir angeklagt werden sollten. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Hubert Harth, habe erklärt: »Der Fall wird von einem Gericht entschieden.« Ende der Woche werde er gemeinsam mit Staatsanwalt Möllers das Ermittlungsergebnis und die daraus resultierende Konsequenz einer Anklageerhebung im hessischen Justizministerium vortragen; einen Strafbefehl würde Daschner, »der sich im Recht sieht«, wohl nicht akzeptieren. Er rechne damit, dass das Ministerium, mit dem im Laufe der einjährigen Ermittlung ständig Gespräche geführt worden seien, keine Einwände gegen die Abschlussverfügung haben werde.
    Das war hart. Immer noch hatte die Staatsanwaltschaft nicht mit mir gesprochen, und jetzt erfuhr ich aus der Zeitung von der bevorstehenden Anklage. Hubert Harth musste zwar nach einer Intervention von Anwalt Hild am 2. Februar 2004 einräumen, dass ein Hintergrundgespräch mit Journalisten überinterpretiert worden sei. Dieses Gespräch hätte jedoch gar nicht stattfinden dürfen, da unsere Verteidiger umfangreiche Stellungnahmen angekündigt hatten. Aber die Staatsanwaltschaft verzichtete nicht auf ihre populistische Vorgehensweise.
    Egal, wo ich mich aufhielt, regelmäßig schossen mir Gedanken an den bevorstehenden Prozess durch den Kopf. Keine Stunde verging, in der ich nicht darüber nachgedacht habe, ob ich etwas oder was ich falsch gemacht hatte. Natürlich hatte ich Gäfgen gesagt, wie weit Daschner zu gehen bereit war, um Jakob zu retten, natürlich hatte ich ihm gesagt, dass jemand kommen sollte/würde, um ihn durch Schmerzzufügung dazu zu bringen, den Aufenthaltsort von Jakob preiszugeben, wenn er nicht freiwillig aussagen würde, wo Jakob versteckt war. Aber er hatte weiter geschwiegen, nicht reagiert, warum sollte er auch? Daraufhin hatte ich versucht, andere, wirkliche Ängste in ihm hervorzurufen, um zu erfahren, wo Jakob sich befand, was mit ihm los war. Ängste, die unter keinen Tatbestand zu subsumieren sind. Ich hatte versucht, Bilder in seinem Kopf zu erzeugen, die einfach nur der Wahrheit entsprachen.
    Â»Wo ist Jakob? Du wirst Jakob nie vergessen. Sein Flehen um Hilfe, sein Schreien werden dir nie mehr aus dem Kopf gehen, werden dich für immer verfolgen. Dein Leben lang. Hast du ihm wehgetan? Ihn verletzt? Kann er sich bewegen? Hat er genug Luft? Du wirst seine Augen nie vergessen, die panische Angst in seinen Augen, nie! Keine Nacht wirst du mehr schlafen, du wirst Angst vor der Dunkelheit haben, denn sie wird dich an das erinnern, was du mit Jakob gemacht hast. Wo hast du ihn versteckt?«
    Das hatte ihn dazu veranlasst, mir zu sagen, dass Jakob tot sei und verpackt in einem Weiher liege. Nicht die Androhung unmittelbaren Zwanges.
    Was würde man mir glauben, nachdem die Anklagebehörde, sprich: die Staatsanwaltschaft, sich »urlaubsbedingt« verspätet und verzettelt und in aller Öffentlichkeit Tatbestände in den Raum geworfen hatte, die auch weniger Versierte nach einigen Blicken in Strafrechtskommentare sofort verworfen hätten?
    Ganz tief in meinem Inneren war ich davon überzeugt, dass ich richtig gehandelt hatte. Aber dann wurden wir angeklagt, und ich begann, an meiner Überzeugung zu zweifeln. War das, was wir getan hatten, doch nicht richtig gewesen? Kann

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