Um Leben Und Tod
ein Gedankenexperiment, das in der deutschen Juristenzeitung diskutiert wurde: »⦠Hält ein Geiselnehmer die Pistole an die Schläfe der Geisel, darf er erschossen werden. Hat dieser aber die tickende Bombe an der Geisel befestigt, soll er selbst durch einfachen Zwang nicht zur Preisgabe des Codes des Zündmechanismus gezwungen werden dürfen, um die Geisel zu retten â¦Â« Gauweiler geht auch auf den Entführungsfall Matthias H. ein und stellt die Frage in den Raum: »Wäre die Anwendung von körperlichem Zwang gegen die bereits verhafteten Täter zum schnelleren Herausfinden des Verstecks legitim gewesen?« Seine Antwort lautet, die Würde des Opfers habe Vorrang und Zwang zur Erreichung der Rettung eines Menschenlebens sei gerechtfertigt. ( Bild , 03.03.2003)
Und der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch sagte der Bild am Sonntag (23.03.2003): »Wolfgang Daschner hat in einer schlimmen Konfliktsituation, in der er hoffte, das Leben des kleinen Jakob von Metzler noch retten zu können, für sich eine Entscheidung getroffen, in der er die letzte Chance sah, den Aufenthaltsort des vermeintlich noch lebenden Jungen zu erfahren. Es ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich, dass dieses Verfahren juristisch überprüft wird. Ich persönlich halte Daschners Verhalten in dieser Konfliktsituation, in der er ein Leben retten wollte, für menschlich sehr verständlich.«
Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erklärte, im Fall Metzler könne den Beamten ein »rechtfertigender Notstand« zugebilligt werden. Im Zweifel werde man den Polizisten freisprechen, sagte sie am 20. Februar 2003 zu focus online .
Tarek Al-Wazir, der Fraktionschef der hessischen Grünen, stellte die Frage, ob der Rechtsstaat alles dürfe, was Erfolge zeigen könne: »Nicht alles, was Koch für menschlich verständlich hält, ist rechtsstaatlich erlaubt« ( Die Welt , 24.02.2003).
Guido Westerwelle ergänzte: »Folter oder die Androhung von Folter darf in Deutschland unter keinen Umständen eine akzeptierte Form der Polizeiarbeit sein.« ( Augsburger Allgemeine , 28.02.2003)
Und die hessische FDP-Chefin Ruth Wagner kritisierte den Ministerpräsidenten Koch, weil dieser »menschliches Verständnis« geäuÃert hatte: »Das Grundgesetz verlangt die Gleichheit vor dem Gesetz.« ( Frankfurter Rundschau , 03.03.2003)
Das hatte Frau Wagner richtig erkannt, aber sie sah nicht oder wollte nicht sehen, dass auch das Opfer Rechte hat: das Recht auf Leben, auf Menschenwürde und auf Freiheit!
Keiner erwähnte, dass die Polizei gesetzlich verpflichtet ist, Gefahren abzuwehren. Nicht allen war klar, dass sich Jakob von Metzler nach der damals zutreffenden Annahme in akuter Lebensgefahr befand; dass auch für Polizeibeamte die Unschuldsvermutung zu gelten hat, und dass sie in dieser schwierigen Situation Fairness verdient haben.
Am 18. September 2003 erhielt Daschners Rechtsanwalt Hild endlich Akteneinsicht. Er konnte einen für ihn angefertigten Satz Duplo-Akten persönlich abholen und musste ihn nach einer Woche persönlich wieder zurückbringen.
Zum ersten Mal bekamen wir die völlig verdrehte und übertriebene Falschaussage Gäfgens zu der Befragungssituation zu lesen. Wir wunderten uns sehr, dass die Staatsanwaltschaft sie, ohne sie zu hinterfragen, ernst nahm. Die Aussage zeigte auch eindeutig, dass die im Tagesspiegel geschilderte Situation, in der Gäfgen behauptet hatte, ein Ermittler hätte ihm gedroht, ihm auf dem Flur die Zähne auszuschlagen, absolut nichts mit mir zu tun hatte. Im Laufe der Zeit dichtete Gäfgen zum Ablauf der Befragung ständig neue Einzelheiten hinzu und wurde immer dramatischer.
Ab Ende April begann Staatsanwalt Möllers mit der Vernehmung der polizeilichen Zeugen, meiner Kollegen. Er wurde unterstützt von zwei weiteren Staatsanwälten. Ich kann nur sagen, das Ergebnis war mehr als dürftig.
Inhaltliche Widersprüche in den verschiedenen Aussagen wurden nicht hinterfragt, es gab meines Erachtens nicht genügend Vorhalte bei zweifelhaften Angaben, Behauptungen wurden nicht überprüft, offensichtliche Lücken nicht durch Nachvernehmungen geschlossen.
Immer noch ging es um den Vorwurf des Verbrechens der »Aussageerpressung«, obwohl längst klar war, dass dieser nicht aufrechterhalten werden konnte. Aber er war nützlich, denn er machte
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