Um Leben Und Tod
ich mich noch auf mein Bauchgefühl verlassen? Oder muss ich jetzt Angst haben, wieder etwas falsch zu machen?
Das alles ging mir durch den Kopf. Dazu kamen finanzielle Probleme. Ich hatte mir 1993 ein kleines bäuerliches Anwesen gekauft und gröÃtenteils selbst renoviert. Einen Teil des Geldes, das ich dafür gebraucht hatte, hatte ich mir leihen müssen. Und dann hatte ich nach der Trennung von meiner Frau noch Unterhalt zu zahlen.
Was passiert, wenn ich wirklich verurteilt werde? Entlassung, Geldstrafe? Was bleibt dann noch für meine Kinder übrig, kann ich sie dann überhaupt noch regelmäÃig sehen?
All dies und vieles mehr schoss mir ständig durch den Kopf. Ich hatte Angst, ja, ich hatte Angst. Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Alles war denkbar, möglich, und in meinen Gedanken spielte ich alle Möglichkeiten durch.
Es sind nur Bruchteile meiner Ãberlegungen, die ich hier schildere. Ich fühlte mich in die Zeit zurückversetzt, als meine Frau mit unseren kleinen Kindern wegzog. Ich war verzweifelt. Damals fing ich an, zu laufen und in ein Fitnessstudio zu gehen. Jeden Tag nach der Arbeit lief ich, bis mein Kopf frei war, bis ich endlich abschalten und Kraft für neue Gedanken schöpfen konnte. Ich lernte Spinning kennen und war so begeistert, dass ich alles tat, um Trainer zu werden. Heute bin ich nebenbei Spinningtrainer.
Der Sport rettete mich auch dieses Mal. Seine Wirkung ist groÃartig, die Kraft, die daraus erwächst, hilft abzuschalten, Ãngste zu überwinden. Sport zu treiben, ist sinnvoll und nützlich, wenn man in einer schwierigen und ausweglosen Situation steckt.
Am 30. Januar 2004 nahm auch mein Verteidiger, Prof. Dr. Lutz Simon, umfassend Stellung zu den bis dahin bekannten Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Als Grundsatz stellte er klar, Gegenstand des Ermittlungsverfahrens könne nicht die in der Ãffentlichkeit geführte Diskussion über die allgemeine Zulässigkeit von FoltermaÃnahmen sein, sondern ausschlieÃlich die strafrechtliche Würdigung der durchgeführten MaÃnahmen. Dabei seien die Aussagen des Kindsmörders Gäfgen »insgesamt unglaubhaft«: »Herr Gäfgen hat nicht nur in allen polizeilichen Vernehmungen die Unwahrheit gesagt. Selbst nach Auffinden der Leiche von Jakob von Metzler hat er sein Aussageverhalten nicht geändert und falsche Angaben über den Verbleib des Schulranzens und der persönlichen Dinge des entführten Kindes gemacht. Dabei hat er sich nicht gescheut, zunächst die unbeteiligten Brüder B. [Name geändert] zu Unrecht zu belasten. Selbst nach Auffinden des toten Jungen hat er den unbeteiligten Zeugen H. [Name geändert] noch als Urheber der Tat belastet. Auch im Strafverfahren wegen Mordes gegen ihn selbst hat er sein Aussageverhalten permanent geändert, und die Aussagen in diesem Verfahren enthalten noch Widersprüche zu früheren Aussagen und dem tatsächlichen Geschehensablauf. Ihm kann deshalb in diesem Verfahren in keinem Punkt geglaubt werden. Auch die Tatsache, dass er Herrn Ennigkeit und damit Herrn Daschner erst drei Monate nach der angeblichen Tat der Beschuldigten belastet hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit.«
Zur rechtlichen Bewertung führte Prof. Dr. Simon aus, der Tatbestand der Aussageerpressung könne schon deshalb nicht erfüllt sein, weil die unterstellte Handlung ausschlieÃlich der Gefahrenabwehr für das entführte Kind gedient hatte und in dem Strafverfahren gegen Gäfgen nicht verwertet werden durfte. AuÃerdem sei keine Gewalt »angedroht«, sondern auftragsgemäà lediglich als »angedachte« Entscheidung der Behörde mitgeteilt worden; dies gelte auch für das Merkmal »Drohung mit einem empfindlichen Ãbel« im Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB. Gäfgen habe den Verwahrort der Leiche des entführten Jakob von Metzler »allein aufgrund des dauernden Insistierens nach dem Aufenthalt des Kindes und des Abwehrens sämtlicher Ausflüchte« offenbart. Bei der Frage der Nötigung seien auÃerdem die Rechtfertigungsgründe aus dem Polizeirecht sowie der Notwehr und des Notstandes relevant; darüber hinaus sei der Versuch, das Leben des entführten Kindes zu retten, keineswegs als »verwerflich« im Sinne dieser Strafvorschrift zu werten. Auch Prof. Dr. Simon beantragte, das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO
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