Um Leben Und Tod
einzustellen.
Ohne auf die Argumente der Verteidigung hinreichend einzugehen, stellte Staatsanwalt Möllers am 11. Februar 2004 den Abschluss der Ermittlungen fest und legte am selben Tag der 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main seine Anklageschrift vor. Auf 21 Seiten begründete er, dass ich mich wegen eines besonders schweren Falles der Nötigung, nämlich unter Missbrauch meiner Befugnisse und Stellung als Amtsträger, schuldig gemacht hätte, Polizeivizepräsident Daschner hätte mich als Vorgesetzter zu dieser rechtswidrigen Tat verleitet.
Lächerlich wirkte sein Versuch, den objektiven Tatbestand der Aussageerpressung und damit seine unzutreffende rechtliche Einordnung zu begründen:
»Die Frage, ob die angedrohten ZwangsmaÃnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr im Sinne einer Lebensrettung des entführten Kindes erfolgten, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung, weil Gäfgen in dem ihm von der Polizei zugeteilten Status als Beschuldigter nicht verpflichtet war, überhaupt Angaben zur Sache machen zu müssen.«
Vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse und der kriminalistischen Erfahrung sei es »ohnehin am Morgen des Tattages sehr fraglich« gewesen, »ob das Kind überhaupt noch lebte«. Darüber hinaus sei die Absuche des Seengeländes noch nicht abgeschlossen gewesen, »und ein geplantes Ermittlungskonzept lag zur Umsetzung bereit«.
Immerhin räumte er ein, dass der subjektive Tatbestand dieses Verbrechens nicht erfüllt war, dies ergebe sich »bereits aus dem Vermerk des Beschuldigten Daschner mit Datum vom 01.10.2002, wonach âºdie Befragung des Gäfgen nicht der Aufklärung der Straftat, sondern ausschlieÃlich der Rettung des entführten Kindes dientâ¹.« Seit 16 Monaten war ihm dieser Satz bekannt, trotzdem hat er uns ein Jahr lang in der Ãffentlichkeit als »Verbrecher« dargestellt, mit allen sich daraus ergebenden negativen Folgen für uns und unsere Familien.
Kaum ein Wort enthielt die Anklageschrift über den ungeheuren Zeitdruck am Morgen des 1. Oktober 2002, über die akute Lebensgefahr für Jakob von Metzler und über die Tatsache, dass er nach damals zutreffender Bewertung noch maximal zwei bis drei Stunden zu leben gehabt hätte. Auch der Umstand, dass sich die Gefährdungslage durch den Fund von Blutspuren am Schlaflager eines Kindes in einer Hütte zusätzlich erhöht hatte, blieb unerwähnt. Dass Gäfgen sich in dem gesamten Verfahren als notorischer Lügner präsentiert hatte, schien für Möllers ebenfalls ohne Bedeutung zu sein.
Nachdem der Verbrechenstatbestand der Aussageerpressung wie eine Seifenblase zerplatzt war, wollte Möllers wenigstens einen »besonders schweren Fall« der Nötigung begründet wissen. Dieser ist dann anzunehmen, wenn der Täter seine Befugnisse und seine Stellung als Amtsträger »missbraucht«. Es genügt nicht, wenn er beispielsweise eine Nötigung, einen Verwahrungsbruch oder eine Gefangenenbefreiung »begeht«, vielmehr muss in der Tat ein über die bloÃe Amtsträgerschaft hinausgehender Missbrauch zum Ausdruck kommen.
Dies wird nach der strafrechtlichen Fachliteratur in der Regel nur anzunehmen sein, wenn er mit einem Verbrechen droht, wenn er bei der Tat seine Befugnisse »gröblich missbraucht« oder wenn die Tat für den Täter voraussehbar zur Folge hat, dass der Genötigte oder die dritte Person, die das angedrohte Ãbel treffen soll, sich tötet oder zu töten versucht. Dass diese Voraussetzungen bei dem Versuch, das Leben eines entführten Kindes zu retten, auch nicht annähernd gegeben waren, lag auf der Hand (und wurde auch vom Gericht im Urteil so bewertet).
Sechzehn Monate hat es gedauert, bis die Staatsanwaltschaft ihre juristische Prüfung, noch dazu mit einem höchst fragwürdigen Ergebnis, abgeschlossen hatte: Die »Komplexität der Materie«, die »Einmaligkeit des Falles« habe »alles sehr kompliziert« gemacht ( Frankfurter Neue Presse , 21.02.2004). Dem Polizeivizepräsidenten standen dafür unter höchster psychischer und physischer Belastung nur wenige Stunden zur Verfügung; ich selbst hatte nur wenige Minuten Zeit, eine eigene rechtliche Bewertung vorzunehmen.
»Heute ist der Tag der Entscheidung. Heute um 10.30 Uhr wird die Staatsanwaltschaft verkünden, was man dem Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang
Weitere Kostenlose Bücher