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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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wo
Kinder die Flurwände beschriftet hatten — mit Sprüchen, die nicht aus dem
Gebetbuch stammten.
    Sie klingelten vergebens. Nichts rührte
sich. Aber die Tür der Nachbarwohnung wurde spaltweit geöffnet.
    Tim sah ein Auge, einen Mundwinkel und
eine graue Löckchenfrisur. Er grinste in den Türspalt.
    „Wir wollen nichts verkaufen, nichts
erbetteln, nichts vorführen und werben auch nicht für Zeitschriften. Wissen
Sie, wo Carlo Riscanto ist?“
    Die Frau öffnete. Sie trug eine
Kittelschürze und hatte Pellkartoffeln geschält. Eine Pelle haftete an ihrem
Daumen.
    „Der Italiener? Der ist doch meistens
auf Tour. Er fährt Lastwagen. Eigentlich müßte er heute zurück sein. Aber mir
fällt ein: Zu Lieschen hat er gesagt, daß er dann gleich verreist. Er hat wohl
ein paar freie Tage.“
    Soweit waren wir schon, dachte Tim.
Aber er bedankte sich, und sie verließen das Haus.
    Werdy wohnte in einer anderen Gegend.
Um dorthin zu gelangen, kamen sie unweit des Altstadtviertels vorbei; und Gaby
nutzte die Gelegenheit, um ihren Oskar zu Hause abzuliefern. Indessen warteten
die Jungs vor dem Glocknerschen Lebensmittelladen und winkten Gabys Mutter zu.
Sie bediente gerade zwei Kundinnen, winkte aber lächelnd zurück.
    „Ist ja geradezu unhöflich, wie wir sie
begrüßen“, meinte Klößchen. „Ich gehe mal rein und sage anständig guten Tag.“
    „Du bleibst hier!“ befahl Tim. „Und tu
nicht so, als ginge es dir um gute Manieren. Du spekulierst nur darauf, daß sie
dir was zusteckt, weil sie deine Verfressenheit kennt. Es ist schamlos von dir,
das so auszunutzen. Außerdem hast du in der letzten Stunde ständig gekaut. Das
Seehotel-Freßpaket hätte für drei gereicht.“
    Klößchen murrte, hatte aber
Verlegenheitsröte hinter den Ohren. Er fühlte sich ertappt.
    Gaby kam zurück. Sie hatte den Pullover
gewechselt und sich die Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Es sah hinreißend aus.
An ihrem Hals entdeckte Tim das Goldkettchen, das er ihr geschenkt hatte.
    „Du wirkst jetzt eleganter“, meinte er.
„Bis eben warst du eine wilde Schönheit — wie aus der Provinz... äh... ich
meine, ländlich eben. Jetzt hast du mehr den städtischen Chic drauf. Ist das
Absicht?“
    „Ich habe mich nur ein bißchen
ordentlich gemacht.“
    Hm. Er blickte rasch in Margot Glockners
Schaufensterscheibe. Wie war er einzustufen? Seine braunen Locken hatten immer
den richtigen Sitz. Den Kamm vergaß er meistens mitzunehmen. Notfalls genügten
fünf Finger.
    „Außerdem werden wir doch bestimmt noch
beim Modehaus Leihmeier vorbei fahren“, sagte Gaby. „Tanjas Eltern müssen
entscheiden, mit welcher Schärfe sie gegen die Käselaster-Chauffeure vorgehen
wollen. Karl und ich haben auch ein Wort mitzureden. Unsere Fahrräder sind zwar
heil geblieben, doch der Schreck traf uns mit seiner ganzen Wucht.“
    „Aber erst zu diesem Werdy!“
    Es erwies sich als schwierig, seine
Adresse zu finden.
    Prieselmeyer-Straße 19 war vorhanden.
Nr. 19 a schien ein Luftschloß zu sein.
    Ein dickbäuchiger Mann, der sein
Garagentor anpinselte und nach jedem Pinselstrich einen Schluck aus der
Bierflasche nahm, erklärte es ihnen.
    „Ihr müßt dort durch die Zufahrt nach
hinten, an dem Anbau vorbei, dann am Hof vorbei und über den Sandweg durch den
Garten. Das kleine Gebäude ganz hinten — das ist 19 a. Da wohnt er.“

    Auf dem Hof parkten zwei Autos. Dem
kleinen Garten, der sich zwischen die Rückfronten von Häusern zwängte, trotzten
fünf Apfelbäume ihren Lebensraum ab. Die Zweige hingen voll. Die Äpfel hatten
so rote Backen wie Klößchen.
    Im Vorbeigehen pflückte er einen.
    „Mundraub“, meinte er, „gilt nicht als
Diebstahl.“
    Nr. 19 a hatte graue Mauern und zwei
Klingelknöpfe neben der Tür. Abgesehen von den Apfelbäumen war es eine scheußliche
Adresse.
    Vor dem zweiten Fenster stand ein Typ.
Er hatte sich auf die Zehen gereckt, um durch einen Gardinenspalt ins Haus zu
spähen.
    Jetzt klopfte er an die Scheibe.
    „Heh, Werdy! Ich bin’s, der Gnazow. Wir
sind verabredet. Mach auf! Hast mir das Ding versprochen, und ich habe das
Geld.“
    Nichts rührte sich.
    Gnazow hatte die vier nicht bemerkt.
Jetzt hörte er sie und wandte sich um. Erwartung glänzte auf seinem Gesicht,
erlosch aber sofort. Kein Werdy. Die Enttäuschung ging über in Ärger.
    „Heh!“ schnarrte er und starrte auf den
Apfel in Klößchens Hand. „Den haste geklaut, was?“
    Klößchen schüttelte den Kopf. „Gefunden.“
    „Er fiel gerade vom

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