Um Mitternacht am schwarzen Fluß
sie nicht“, bestätigte
Gaby. „Sie wollte auf schnellstem Wege zurückkommen. Zum Seehotel. Später haben
wir dann beschlossen, nicht mehr zu grillen, und Jan Drebelt hat bei Dr.
Geidmann angerufen, damit man Tanja das ausrichtet.“
Robert nickte. „Davon sprach die
Arzthelferin. Sie hätte im Wartezimmer vergeblich nach Tanja gesucht — und sie
sei bis jetzt nicht gekommen.“
„O Gott!“ flüsterte Ute. Dann gebar sie
eine rettende Idee. „Vielleicht ist sie gleich hochgegangen, ist in ihrem
Zimmer und liest.“
Ihr Mann schüttelte den Kopf. „Das
würde sie nicht machen, ohne bei uns reinzusehen.“
Aber Ute war bereits aufgesprungen und
lief hinaus.
Wie die TKKG-Bande wußte, befand sich
das Modehaus Leihmeier seit mehr als 100 Jahren im Familienbesitz. Die unteren
Stockwerke des ehrwürdigen Patrizierhauses (Haus eines wohlhabenden Bürgers )
dienten nur dem Geschäft. Aber die oberste Etage war eine weitläufige Wohnung.
Gaby war schon dort gewesen und hatte
erzählt, daß man von Tanjas Zimmer aus über die Dächer der Innenstadt blicken
könne.
Das bange Warten dauerte nicht lange.
Immerhin genügte es, um an den Nerven
des Modehaus-Chefs zu zehren. Er sank sehr zusammen über seinem Spitzkühler.
Stützen enthielt das modische Sakko nicht. Fortgesetzt mißhandelte er seine
Unterlippe mit den Zähnen.
Es machte nervös, dem zuzusehen. Tim
hätte ihm am liebsten die Kiefer geöffnet.
„Sie ist nicht da!“
Ute schloß die Tür hinter sich. Ihr
Gesicht war merklich erbleicht.
„Noch kein Grund zur Panik“, sagte Tim.
„Wo wird sie sein? Natürlich im Seehotel. Immerhin ist Jan ihr Freund. Der hat
zwar jetzt Dienst. Aber vielleicht“, schloß er lahm, „hilft sie ihm im
Restaurant.“
„Als Serviererin?“ meinte Robert
entgeistert.
„Warum nicht? Aus Freundschaft ist
alles möglich. An Ihrer Stelle würde ich anrufen.“
Jan mußte ans Telefon geholt werden.
„Hallo, Jan!“ Leihmeier sagte, was er
auf dem Herzen hatte. Dann vermehrten sich die Sorgenfalten auf seinem Gesicht.
Jans Auskunft machte die Hoffnung zunichte. Und nun war Jan an der Reihe, in
tausend Ängsten zu schweben.
Vorübergehend mußte Leihmeier in die
Rolle des Trösters schlüpfen.
„Mach dir keine Kopfschmerzen, Jan.
Nein, du brauchst nicht herzukommen. Tanja wird irgendwo sein, hat sich nur
verspätet, und beim Abendessen sitzt sie am Tisch. Grüß deinen Onkel! Tschüs!“
Er legte auf.
Hm, hm! dachte Tim. Jetzt fange ich an,
Gespenster zu sehen. Jans Nachricht hat Tanja nicht erreicht. Trotzdem fährt
sie nicht zum Seehotel zurück. Ist total untypisch für sie.
„Mir fällt ein“, ließ sich Gaby
vernehmen, „daß sich Tanja von Frau Eckert wollte zurückbringen lassen.
Unbedingt sogar! Ja, das wollte sie.“
Leihmeier drückte eine Taste des
Wechselsprechgeräts auf seinem Schreibtisch.
„Frau Eckert! Bitte, mal zu mir.“
Die vier Freunde kannten die Frau
nicht. Sie wurde neugierig beäugt, aber nicht so aufdringlich, daß es ihr
peinlich sein konnte.
Ziemlich verhuscht! dachte Tim. Die
müßte mal richtig über die Stränge schlagen und was wahnsinnig Aufregendes
anstellen, zum Beispiel ins Kino gehen.
„Frau Eckert“, sagte Leihmeier, nachdem
er die TKKG-Bande vorgestellt hatte, „Tanja ist nirgendwo zu finden. Sie war
auch nicht bei Dr. Geidmann. Was können Sie uns dazu sagen?“
Anfangs nichts. Denn sie brachte kein
Wort heraus. Der Schreck war in sie gefahren. Der kleine Mund in dem kleinen
Gesicht begann zu zittern, und die Lider flatterten.
„Aber“, stammelte sie dann, „ich habe
doch alles gemacht, was Sie mir befohlen hatten. Beim Seehotel habe ich Tanja
abgeholt und zu Dr. Geidmann gebracht.“
„Haben Sie gesehen, wie Tanja ins Haus
trat?“
„Nein... nicht direkt. Ich bin weiter
gefahren. Aber wohin sonst sollte sie gegangen sein?“
„Das ist es ja eben.“ Leihmeier atmete
schwer. Dann berichtete er von den Telefonaten mit Dr. Geidmann und Jan Drebelt.
„Tanja wollte Sie bitten“, wandte sich
Gaby an die Frau, „daß Sie den Weg noch mal machen. Und sie zum Seehotel
zurückbringen. Hat sie davon nichts gesagt?“
„Wie?“ Dietlinde Eckert schien sich zu
ducken.
So eine Körperhaltung! dachte Tim.
Verrät alles. Nämlich null Selbstvertrauen. Sie sollte mal die Schultern
zurücknehmen und den Kopf höher tragen. Scheint der totale Hasenfuß zu sein,
diese Frau.
Sie brauchte Zeit, um ihre Zitterstimme
in den Griff zu nehmen. Stimmbandwacklig
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