Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
steckt.“
    „Du bleibst trotzdem die ganze Nacht in
der Prieselmeyer-Straße?“
    „Inzwischen habe ich mich so an den
Gedanken gewöhnt — im Adlernest würde ich kein Auge schließen. Super wäre
natürlich, wenn du dabei sein könntest. Bis morgen früh würde ich dir
Geschichten erzählen, daß du garantiert nicht müde wirst. Gruselige! Du
könntest dich ja an mich kuscheln.“
    „Das könnte ich auch ohne die
Geschichten“, erwiderte sie.
    „Punkt Mitternacht denke ich an dich.“
    „Nur um Mitternacht?“
    „Die übrige Zeit — und zwar jede Minute
— werde ich von dir träumen.“
    Gaby seufzte. „Du tust mir richtig leid
— so allein da draußen. Tanja kann sich was einbilden. Du setzt dich mehr für
sie ein als ihr Jan.“
    „Der liegt doch bei seinem Onkel an der
Kette und hat gar keine Möglichkeiten. Im übrigen ist der Einsatz nicht für
Tanja als solche, sondern für den... äh... bedrohten Menschen in ihr. Dasselbe
täte ich für ihre Großmutter.“
    Gaby lachte. Dann beendete sie das
Gespräch, und Tim fuhr zurück.
    Verblüfft sah er, daß Klößchen nicht
untätig gewesen war.
    Neben der Eingangstür lag eine alte
Matratze. Eine Zeltplane war wie eine Bettdecke zusammengerollt.
    „Auf dem Hof — vorn — habe ich das
gefunden“, erklärte Klößchen stolz. „Damit kannst du’s dir irre bequem machen.“
    „Fast wie im Grandhotel. Wie hast du
das in der Finsternis entdeckt?“
    „Ich sah’s schon heute nachmittag, als
wir das erste Mal hier waren. Ungeziefer ist nicht drin. Ich habe drauf
rumgeklopft. Kein Floh ist gehüpft, keine Wanze getürmt. Die Matratze riecht
nur ein bißchen modrig.“
    Tim berichtete, was er von Gaby
erfahren hatte.
    Damit endete für Klößchen der ereignisreiche
Teil des Tages. Er wünschte seinem Freund eine gute Nacht und machte sich auf
den Heimweg.
    Tim löschte das Licht über Werdys
Eingangstür und tigerte eine Weile auf und ab.
    Stille ringsum. Nur im Garten fiel dann
und wann ein Apfel zu Boden.
    Als Betthupferl war das nicht schlecht.
    Er suchte unter den Bäumen und fand
drei vollsaftige vom Typ Boskop.
    Er setzte sich auf die Matratze. Die
Äpfel schmeckten. Es wurde kühler. Die Zeltleinwand war ein Segen. Um die
Schultern gehängt, bot sie ausreichend Schutz.
    Das Warten begann.
    Geduld war noch nie Tims Tugend.
    Aber ein Versäumnis aus Bequemlichkeit
hätte er sich nie verziehen.
    Eine ferne Kirchturmuhr schlug die
volle Stunde. Er fing an, die Schläge zu zählen.

18. Nächtliche Spritztour
     
    Jan wußte nicht, wie er den Abend
überstanden hatte: vorhin im Restaurant, später helfend in der Küche und jetzt
als Keeper ( Schankkellner ) in der Hotelbar.
    Nur weil er zum Hause gehörte, durfte
er gelegentlich die Drinks für die Barflys ( Barfliegen ) bereiten und
dabei den Mixbecher schwingen.
    Das gehörte zwar zu seiner Ausbildung
als Restaurant-Fachmann, aber für Nachtarbeit war er eigentlich noch zu jung.
    Heute hatte ihn sein Onkel im weißen
Affenjäckchen hinter die Bar gestellt, weil er meinte, das lenke ihn ab.
    Sicherlich — es beschäftigte Jan, und
ihm unterlief kein Fehler. Aber seine Gedanken drehten sich nur um die
Freundin.
    Dreimal hatte er bei Leihmeiers
angerufen, zuletzt um halb elf. Nichts neues. Tanja blieb verschwunden.
    Die Bar, gelegen hinter dem Restaurant,
war schummrig. Dunkles Holz täfelte die Wände bis zur Decke.
    Der Stereo-Anlage entquoll dezente
Musik. Sie untermalte, aber sie erstickte kein Gespräch.
    In der Hinsicht war allerdings nicht
viel los. Nur noch drei Hausgäste saßen auf den Hockern und sprachen dem
Alkohol zu.
    Dr. Jacques Plinsmichel, der von weit
herkam und schon zum sechsten Mal im Seehotel weilte, suchte niemals Kontakt.
Er war Witwer, ältlich und wohlhabend. Stundenlang konnte er vor sich
hinstieren — an seiner rotgeäderten Nase vorbei ins Leere. Er trank nur eine
einzige Sorte: Tobermory — Insel-Whisky, eine Nobelmarke. Eigens seinetwegen
hatte sich Jans Onkel einen Vorrat zugelegt.
    Jetzt war er müde, der Plinsmichel.
    Er zeichnete die Rechnung ab, steckte
Jan fünf Mark zu und schob ab in die Heia.
    Zurück blieben am anderen Ende der
Theke wie jeden Abend die Muhsons.
    Sie tranken Champagner. In der
üblichen, vierten Flasche war nur noch ein kleiner Schluck.
    Also bestand Hoffnung, daß auch sie
bald die Platte putzten. Else, die sich Jessica nannte, hatte bereits einen
Silberblick drauf, der das Glas nicht mehr erreichte. Eben stieß sie ihre
Sektflöte um.

Weitere Kostenlose Bücher