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Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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am Boden liegt, wie die Armee von Lilliput durch seine Beine marschiert oder wie der Riesenkönig von Brobdingnag ihn auf der Handfläche haltend betrachtet, das regt zu bildnerischen Gestaltungen an, das wäre auch für Trickfilmer ein dankbares Objekt. Selbst von dem großen Max Slevogt gibt es eine Zeichnung: Gulliver, im Wasser watend und nach einem Schiff greifend.
    Ähnlich wie »Robinson Crusoe« waren die »Reisen zu etlichen fernen Völkern der Welt in vier Teilen von Lemuel Gulliver – vormals Schiffsarzt, alsdann Kapitän auf mehreren Schiffen«, wie das Buch im Untertiel hieß, nicht als Kinderbuch gedacht. Swift karikierte gleichnishaft gesellschaftliche Zustände, nahm die englische Politik aufs Korn und hielt der Menschheit zugleich einen Spiegel vor.
Realität und dichterische Fiktion waren bei Swift so miteinander verknüpft, daß manch zeitgenössischer Leser Gullivers Abenteuer für echt hielt. In der gekürzten und entschärften Version wurde die Satire zu einem der meistgelesenen Bücher der Weltliteratur.
    Swift hat das alte Thema von Zwergen und Riesen in beiderlei Versionen durchgespielt. In neuerer Zeit versucht man ja, ihn in jeder Richtung zu übertreffen (»Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft«). Da werden mit einem verkleinerten U-Boot plus Forscherteam die Adern eines Menschen abgefahren und Monstren wie Godzilla auf die Leinwand geschickt, von denen man mangels großer Fläche immer nur die Plattfüße sieht.
    »Gullivers Reisen« kennt jeder, aber wer weiß etwas über den Autor? Daß der bedeutendste Satiriker der englischsprachigen Literatur aus Irland stammte? Daß er eine Karriere als politischer Journalist und als Kirchenmann machte – über dreißig Jahre Dekan von St. Patrick in Dublin? Als Sekretär des Schriftstellers und einflußreichen Staatsmanns Sir William Temple lebte er lange Zeit in Moor Park, Surrey, kam dort in Berührung mit der großen Welt – einmal hat er William III. in Kensington getroffen – , las sich durch Temples große Bibliothek und lernte die achtjährige, dunkelhaarige Esther Johnson kennen, die er Stella nannte, wurde ihr Lehrer und verliebte sich – viele Jahre später – in sie. Geheiratet hat er sie anscheinend nicht. Legenden ranken sich um diese Verbindung.

    Aus seiner Zeit in London, wo er mit berühmten Dichtern und Gelehrten verkehrte, sich zu den Tories hielt, deren Journal herausgab und politische Satiren verfaßte, rührte ein Verhältnis mit Esther Vanhomrigh, die ihn liebte und der er sich auch später nicht ganz entziehen konnte. Er gab ihr den Namen Vanessa, und sie schrieb ihm lange Briefe. Vielleicht hatten sie auch einen gemeinsamen Sohn. Rätsel über Rätsel. Beide Frauen starben vorzeitig, und Swifts Leben verdüsterte sich; Furcht vor Geisteskrankheit und Menschenhaß befielen ihn. Auch sein Gulliver hatte am Ende den Umgang mit Pferden den Menschen vorgezogen. Taub und blind, starb Swift mit achtundsiebzig Jahren in geistiger Umnachtung. Satiriker bis zuletzt, hat er in seinem Testament die Stiftung eines Hospitals für »idiots & lunaticks« verfügt, weil keine andere Nation einer solchen Einrichtung so sehr bedürfe wie die Iren.

Leo Tolstoi
    Wer als ein Heutiger, als Hiesiger, Fotos betrachtet, die den greisen Grafen Tolstoi zeigen, mag denken: Was für ein Mensch! Der lange Bart, der Russenkittel von einem Gürtel zusammengehalten, vor einer Birke auf seinem Gut Jasnaja Poljana oder unter seinen Bauern. Maxim Gorki, dem er die Träume deutete, hat ihn mit jenem russischen Gott verglichen, »welcher ›auf einem ahornenen Throne unter einer goldenen Linde sitzt‹ und der, wenn auch nicht sehr majestätisch, aber vielleicht schlauer als alle anderen Götter ist«. Gibt es in unserer Zeit noch solche Persönlichkeiten? Weißes Haar allein reicht ja noch nicht. Man mag Ausschau halten in allen Kontinenten, mit Gandhi und Churchill sind sie dahin …
    Die Zeitgenossen des Grafen Tolstoi werden darüber vielleicht anders geurteilt haben. War er nicht als junger Offizier ein Saufbold? »Die Sinnlichkeit läßt mir keinen Augenblick Ruhe«, schrieb er in sein Tagebuch. So ausschweifend waren seine Liebesabenteuer, daß er sich eine Gonorrhö zuzog. Verschwenderisch war er obendrein,
von der Spielsucht besessen und ein Haudegen, als Batterieführer im Krimkrieg in Sewastopol ziemlich weit vorn.
    Nach jahrelangen inneren Kämpfen verfiel er erst im Alter in einen moralischen Rigorismus sondergleichen, in ein

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