umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
meinen Job als Sekretärin im Bestattungshaus Pietät Sommer nur deshalb verloren hatte, weil er mich in diese Geschichte mit den Morden hineingezogen hatte? Während seiner Untersuchungshaft hatte er mir schon jeden Monat ungefragt 500 Euro zukommen lassen. Matti konnte sich das locker leisten, weil er durch die Lebensversicherung seiner vor Jahren verstorbenen Frau eine Menge Geld auf seinem Konto hatte. Aber ich konnte es mir nicht leisten, noch mehr von ihm anzunehmen, obwohl ich mit dem Rücken an der Wand stand. Oder gerade deshalb. Wenn man dann noch einen Diener machen muss, fällt man vorne rüber und haut sich die Nase platt.
Ich zündete mir an diesem Tag schon die fünfte Zigarette auf leeren Magen an. Gab es eigentlich Rabattkupons für Friseure? Jetzt hätte ich als Balsam für meine arme Seele gerne einen neuen Haarschnitt in Anspruch genommen. Keine Kupons – kein Friseur. Und meine beste Freundin Wilma war nicht da. Sie hatte sich den Mountainbike-Freak Acki unter den Nagel gerissen und heizte mit ihm die Rocky Mountains rauf und runter. Bevor Wilma abgereist war, hatte sie mir noch mal die Haare gemacht, aber seitdem waren schon vier Wochen vergangen. Einen genauen Rückflugtermin hatte sie mir nicht genannt, aber sie würde doch wohl über die stürmische Liaison mit Acki ihre Angestellten und ihre Stammkunden inklusive meiner Wenigkeit nicht vergessen haben? Inzwischen bekam ich knallbunte Postkarten aus Amerika. Da schien es eine neue Mode zu geben: Automaten, die Minibilder fotografieren und dann gleich als Klebesticker ausspucken. Acki und Wilma, Wilma und Acki. Vierundzwanzig Postkarten vollgeklebt mit ihren dämlich grinsenden und Grimassen schneidenden, braungebrannten Gesichtern. Zu meiner Postkartensammlung gesellten sich alle paar Tage auch noch meditative Motive aus Japan. Kajo Kostnitz, unser junger, aufstrebender Pianist, hatte das Haus seiner Eltern verkauft, das ich bis vor kurzem gehütet hatte. Seine Konzerttournee hatte ihn bis Japan gebracht. Danach standen noch Neuseeland und Australien auf dem Programm, und ich freute mich schon auf die Postkarten mit Känguruhs und Koalabären. Japan hatte mir bereits drei Geishas, einen Sumoringer – die Karte war für meinen Kater Dr. Thoma gewesen –, zwei Kirschbäume in voller Blüte und mehrere buddhistische Klöster im Morgennebel beschert. Vielleicht könnte ich versuchen, beim Sushi-Man in der Luisenstraße drei Geishas auf Papier gegen ein echtes Sushi auf Porzellan einzutauschen?
Im Liebes- und Ferienrausch meiner Freunde und Bekannten nahm ein Liebespaar den absoluten Spitzenplatz ein: mein schwules Polizeischlachtschiff Kriminalkommissar Winnie Blaschke und sein Tänzer Nikolaj Andrejetwisch Besuchow. Die beiden weilten in der Stadt der Sommer-Winter-Frühling-Herbst-Paläste, der Mammutportionen Kaviar und der bunten Matjoschkas – St. Petersburg. Es schien ihnen gut zu gehen, denn bislang hatte ich noch keine einzige Ansichtskarte bekommen. Und angerufen hatte Winnie auch nicht. Wahrscheinlich war er im Mariinskij Theater vom männlichen Teil des Corps de Ballet schon adoptiert worden. Oder er hatte eine Wodka-Kaviar-Vergiftung. Oder er hatte aus Versehen in der Eremitage eine von den 2.000 turmhohen Alabastervasen von Zar Nikolaus dem Viertelvorzwölften, die da an jeder Ecke herumstehen, versehentlich angerempelt und war nach Sibirien verbannt worden.
Die einzige Person, bei der alles so war wie immer, war Winnies Oma Berti. Ihr Kiosk lief wie eh und je – auch ohne meine Hilfe. Auf die hatte sie dankend verzichtet, als sie herausbekommen hatte, dass ich, ohne ihre Erlaubnis einzuholen, ihre beiden Lieblingsalkoholiker Herrmanns und Borowski vor ein paar Monaten als Privatdetektive angeheuert hatte. Durch meinen spontanen Rauswurf allerdings hatte sie das Finale meines letzten Abenteuers in Bad Camberg verpasst. Unsere diplomatischen Beziehungen waren seitdem merklich abgekühlt. Immerhin besaß sie die große Güte – man könnte es auch Geschäftssinn nennen –, mir weiterhin Zigaretten und Kaffee zu verkaufen. Gefeuert zu werden hat manchmal auch sein Gutes: Durch den Taxijob hatte ich auf einen Streich regelmäßig einen fahrbaren Untersatz und ein Handy. Sollte der alte Eso-Laberspruch ›Man weiß nie, wozu irgendwas gut ist‹ tatsächlich wahr sein?
Wenn ich es also recht betrachtete, war ich auf dem besten Weg, bescheiden und demütig zu werden, geradezu anspruchslos; ich war kurz vor Zen. Kurz vor der
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