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umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)

Titel: umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minck
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versucht hatte, dem Begriff Bestatter-Design neue Weltgeltung zu verschaffen.
    Nur zwei Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hatte Matti es sich nicht nehmen lassen, mich zu einer Tour durch Tapeten- und Dekorationsgeschäfte einzuladen. Nicht ganz uneigennützig, wie sich herausstellte, denn ich musste das Reden übernehmen. Er hatte eine Liste dabei, wahrscheinlich im Knast schon vorbereitet, die ich dem Verkäufer nur vorlesen musste. Matti summte währenddessen finnische Tangos und notierte sorgfältig Preise, Farben und Lieferzeiten auf seinem Duplikat. Jedes Mal blieb ein verdutzter Verkäufer zurück, denn Matti ließ sich alles zeigen, kaufte aber nichts. Wenn wir wieder vor der Tür standen, wollte er sofort wissen, was mir am besten gefallen hatte, und er machte ein Kreuzchen auf seiner Liste. Aber nicht neben dem Produkt, das ich genannt hatte, sondern garantiert woanders. War ich für helles Ahorn, kreuzte Matti Mooreiche an. Favorisierte ich einen Anstrich in Rot, notierte er eine Idee mit Silber. So war es den ganzen Tag gegangen. Nebenbei waren wir in einem Lebensmittelgroßhandel vorbeigefahren, und Matti hatte endlich mal wirklich was gekauft: fünf Großpackungen Gummibärchen und ein Gebinde von 20 Platten Pfefferminz-Zucker-Blöcken, rosa-weiß. Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, eine ganze Palette Marshmallows zu kaufen, die an dem Tag im Angebot war. Matti konnte nämlich so viel Zucker verklappen wie kein Zweiter. Einem normalen Menschen wäre bei dem Süßigkeitenkonsum schon längst die Aorta verklebt, aber er war rank und schlank wie ein Langstreckenläufer, und der Arzt, den er nach seinem Knastaufenthalt auf mein Drängen hin aufgesucht hatte, war mit seinen Werten zufrieden gewesen. Ich hatte es angesichts hoch aufgetürmter Schokoladensortimente in 24 Geschmacksrichtungen gewagt, den Einwand vorzubringen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis er sich einen Diabetes angefuttert hätte, aber Matti bestand darauf, dass Gemüse was für Kühe sei. Die Menschen aus dem hohen Norden ernähren sich nun mal nicht von Gemüse – das hatte schon die Gutmenschen-Tierschutzfraktion bitter erfahren müssen, die einst den Eskimos statt fangfrischer Robbe Tiefkühlgemüse ans Herz gelegt hatte. Ein Nordmensch isst Fleisch, Fisch und Kohlenhydrate, hatte Matti mich freundlichst aufgeklärt. »Aber Sie sind kein Eskimo«, hatte ich eingewandt. »Sie sind ein Finne.«
    »Aus Kemijärvi.«
    Ich muss wohl ein sehr ungläubiges Gesicht gemacht haben, denn er fuhr fort: »Das liegt am Nordpolarkreis.«
    »Ach was?«, sagte ich.
    »Dort gibt es Eisangeln, Seen, Rentiere und die schönsten Ansichtskarten der Aurora borealis.«
    »Aha?«, sagte ich und war von seinem Redefluss und der Tatsache, dass Matti eine persönliche Information preisgegeben hatte, zutiefst beeindruckt. Bislang hatte ich mich damit begnügen müssen, dass er zugab zu existieren und dass er Süßigkeiten liebte. Einzig in einer sehr schwachen Stunde hatte er mir vor Monaten erzählt, dass seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Seit wir gemeinsam die seltsamen Todesfälle rund um Pietät Sommer aufgeklärt hatten, waren wir so was Ähnliches wie befreundet. Allerdings war das, was mich mit Matti verband, die seltsamste Freundschaft, die ich bislang erlebt hatte. Wir siezten uns immer noch, redeten so gut wie gar nicht miteinander, verbrachten aber jede Menge Zeit zusammen. Zuerst als Arbeitskollegen und Detektivdilettanten, dann im Besuchsraum der Justizvollzugsanstalt und jetzt eben in Baumärkten. Und nicht zu vergessen: Mattis Bedürfnis, für meinen Lebensunterhalt zu sorgen, und mein Bedürfnis, ihn davon abzuhalten und ihm den Genuss von Obst und Gemüse nahezubringen, was er wiederum strikt ablehnte.
    Mein Blick fiel auf einen Bürostuhl, der noch in Folie eingewickelt war. Ein dunkler Holzdrehstuhl wie aus einer alten amerikanischen Fernsehserie. Den Stuhl hatten wir im Vorbeifahren im Schaufenster eines teuren Antiquitätenhändlers gesehen, der gar nicht auf der Liste gestanden hatte. Matti hatte ihn tatsächlich gekauft!
    Ich konnte nicht widerstehen, packte den Stuhl aus, setzte mich darauf und rollerte damit hinter den Schreibtisch. Genau so hatte ich mir das Büro vorgestellt, in dem ich gerne sitzen würde, wenn ich denn im Büro eines Bestatters hätte sitzen wollen. Ich löste die Schraube für die Rückenlehne, kippte nach hinten, legte die Füße auf den Sekretär und fühlte

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