umgenietet: Maggie Abendroth und der alten Narren tödliches Geschwätz (German Edition)
Erleuchtung, kurz vor …
… kurz davor, die Nerven zu verlieren, denn ich hatte vor nicht einmal acht Stunden einen schrecklichen Fehler gemacht. Und da kam er auch schon aus dem Schlafzimmer geschlurft.
»Um Himmels willen, wie spät ist es?« Der Fehler hüpfte auf einem Bein, um in seine Hose zu kommen.
Wozu antworten? Die große Küchenuhr zeigte unübersehbar exakt 15.30 Uhr.
»Halb vier!? Maggie, warum hast du mich nicht geweckt? Ich muss in einer halben Stunde in Köln sein. Verflucht …!«
Sag ich doch, wozu antworten? Ah, bei Novo gibt es Neutralseife, und wenn man zwei Familienpackungen davon kauft, gibt es ein Paar bunte Flipflops gratis. Ich schnippelte den Kupon aus, zündete mir die nächste Zigarette an und vermied es, dem Knipser dabei zuzusehen, wie er mit fliegenden Händen versuchte, sein Hemd zuzuknöpfen. Funktioniert nicht so richtig gut, wenn fünf von acht Knöpfen auf dem Fußboden verstreut herumliegen. Manchmal darf man eben keine Zeit verlieren.
Aber was mir gestern Abend noch wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen war, entpuppte sich bei Tageslicht betrachtet als typischer Maggie-Horrortrip. Hätte ich nicht ein bisschen nachdenken können, bevor ich ihm das Hemd vom Leib reiße? Wenn ich ihn jetzt anschaue, wird sich mein Mund wie von Geisterhand öffnen, und ich werde ein paar Fragen stellen, die mir hinterher leidtun. Dämliche, erniedrigende Fragen wie: Rufst du mich nachher an? Kommst du wieder? Und, und, und. Bevor das passierte, wollte ich lieber zehn Stücke Arztseife lutschen und mit zehn Litern Milch nachspülen.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie mein Ex angewidert an seinen Schuhen roch und sie mir dann anklagend entgegenstreckte. »Katzenpisse!«
Dr. Thoma lag vor mir auf dem Küchentisch, und sein perforiertes Kämpferohr drehte sich wie eine Parabolantenne hin und her.
»Saboteur«, flüsterte ich ihm zu. Mit seinem Schwanz wedelte er die mühsam nach Supermärkten sortierten Kupons vom Tisch.
»Maggie, jetzt mach doch mal was. Ich kann doch unmöglich mit diesen Schuhen … Herrgott, ich habe einen Termin bei einem Kunden in …«
»Köln«, murmelte ich. Dr. Thoma zwinkerte mir zu, und weil ich mich noch tiefer über meine Kupons beugte, stieß er liebevoll seinen dicken Schädel in meine wirren Locken.
»Nicht Köln. Düsseldorf! Ich habe noch zehn Minuten – wo ist der nächste Schuhladen? Meine Güte, jetzt sag doch endlich mal was!«
Meine Güte, versteh doch mal, ich kann dich jetzt nicht anschauen, und ich kann jetzt nichts sagen. Dann kriege ich Speichelfluss und Nervenzittern. Nach dieser Nacht werde ich nicht auch noch das letzte Fitzelchen Würde, das mir geblieben ist, im Klo runterspülen.
»Scheiße, die Artbuyerin von Grey … Und meine Schuhe stinken nach Katzenpisse«, grummelte er.
Tja, vielleicht findet die Artbuyerin einer der renommiertesten Werbeagenturen der Welt das ja antörnend?
» Deichmann ist ein paar Meter die Kortumstraße hoch. Nicht zu verfehlen«, sagte ich und versuchte, weitere Worte in meinem Mund zu behalten.
»Ich kauf doch keine Schuhe bei Deichmann! Ich schlag doch bei Grey nicht …«
Zu meiner Rettung ging in dem Moment die Tür auf, und Raoul, Kai-Uwes spanischer Koch, kam in die Küche und unterbrach das Referat des Knipsers über unpassendes Schuhwerk in Werbeagenturen. Unter Raouls Küchen-Clogs zerbröselte krachend ein Hemdknopf aus Perlmutt. Er hatte eine brutzelnde Pfanne in der Hand und blieb mit offenem Mund stehen, als er den Knipser in seinem ramponierten Hemd sah. Ungefähr so hatte ich gestern Abend auch ausgesehen, als es an der Tür geklingelt hatte. Mein einziger freier Tag, und dann das. Ich hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, Kai-Uwes Plattensammlung durchzuhören, und war gerade bei The Cure angekommen, da steht unangemeldet mein Ex vor der Tür und begehrt Einlass. Mein Ex setzt sich an den Küchentisch, sieht mich lange an und sagt: »Entschuldigung, für, für … du weißt schon, was. Und danke, dass du mich gerettet hast.« Und dann hat er mir die Narbe von seiner Knieoperation gezeigt, die er mir zu verdanken hatte, was er mir aber nicht mehr übel nahm. Weil, wie er mir versicherte , die Zeit im Krankenhaus und die anschließende Reha ihm endlich die Ruhe verschafft hätten, über alles und vor allem über uns und das Ende unserer Beziehung nachzudenken. Vor allem darüber, welchen Mut und welche Großzügigkeit ich bewiesen hätte, ihm nach allem, was er mir angetan
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