Umwege zum Glück
jedenfalls die vier Wochen.“
Ich wußte noch jemanden, der froh war! Ich segnete die Dunkelheit im Wagen. Er konnte bestimmt nicht sehen, daß mir eine heiße Rote in die Wangen schoß.
„Und nachher?“ fragte ich.
„Nachher werde ich für ein Jahr als Assistenzarzt im Tropenkrankenhaus arbeiten. Aber dann – “
„Wieso ,aber’?“
„Weil es dann problematisch für mich wird. Dann müßte ich ja eigentlich in die Tropen, um die Krankheiten an Ort und Stelle studieren zu können. Hier im Norden kriegen wir ja nie die ,frischen’ Fälle zu sehen. Ich möchte sehr gern in einem Krankenhaus in einer Hafenstadt arbeiten, Mombasa vielleicht oder Dar-es-Salaam – “
„Also unbedingt Ostafrika?“
„Am liebsten ja. Da kenne ich die Sprache, was natürlich ein großer Vorteil ist. Und – ich möchte so gern dorthin zurück. Wissen Sie, wenn man dieses Land einmal kennengelernt hat, wird man besessen. Man ist daran gebunden mit Herz und Seele, man sehnt sich immer zurück. So geht es meiner Mutter auch. Ich sehne mich nach der Natur, nach den weiten Steppen, nach dem herrlichen Tierleben, nach der Sonne, der Vegetation, nach den Farben – und nach den Menschen! Diese lieben Dunkelhäuter, die meine ersten Freunde waren! Und sehen Sie, Reni: In diesem Volke gibt es Hunderttausende, die Hilfe brauchen! Menschen, die in den entferntesten Winkeln des Landes wohnen. Menschen mit Lepra, mit Amöbenruhr, mit den scheußlichen Parasitenkrankheiten. Ich habe Menschen dahinsiechen sehen, weil ihr ganzes Innere von Hakenwürmern und anderen Parasiten aufgefressen wurde. Ich möchte versuchen, den Kranken zu helfen und den noch Gesunden klarzumachen, wie sie diese Krankheiten vermeiden und bekämpfen können! Sie trinken verseuchtes Wasser, sie baden in Gewässern, wo sie sich todsicher eine Bilharziose – eine der scheußlichsten Wurmkrankheiten – holen, sie werden mit Lepra angesteckt, weil sie die einfachsten Schutzmaßnahmen nicht kennen. Wenn Sie wüßten, wieviel da zu tun ist, wie dringend die Menschen Hilfe nötig haben! Sie brauchen nur in irgendeine Stadt in den Tropen zu fahren, schon sehen Sie die Bettler, grauenhaft verstümmelte Menschen, die hockend, kriechend, oft erblindet, um Almosen bitten. Ich habe einen jungen Mann gesehen, der flach auf dem Bauch über die Straße kroch. Ich habe einen gesehen, der keine Arme hatte und die geschenkten Münzen mit dem Mund entgegennahm. Ich habe eine alte Frau gesehen, die zwei eitrige Höhlen statt Augen hatte – ich könnte noch viel mehr erzählen. Ist etwas nicht in Ordnung, will Theodor nicht mehr?“
Ich hatte am Straßenrand angehalten.
„Theodor will schon“, stammelte ich mit zitternder Stimme. „Aber ich kann nicht fahren, während ich heule!“
Ja, ich weinte schon wieder, ich konnte nichts dafür! Wieder legte sich ein tröstender Arm um meine Schultern. Manfred fragte nicht, warum ich weinte. Er strich mir übers Haar, ließ mich in Ruhe, bis ich die Augen gewischt hatte, das Taschentuch wieder einsteckte und den Gang einlegte.
„Es war wohl ein bißchen zuviel für Sie“, sagte er leise. „Sehen Sie, diese Schreckensbilder sind mir vertraut. Ich denke wohl nicht daran, daß es für einen anderen Menschen – “
„Es war gut, daß Sie’ es erzählten“, sagte ich.
Dann schwiegen wir beide. Er gab mir Zeit, wieder zu mir zu kommen.
„Sie sagten, Sie beherrschen die Sprache in Ostafrika“, sagte ich endlich. „Ich dachte immer, da gäbe es unzählige Stammessprachen.“
„Ja, das stimmt. Aber mit Suaheli kommt man immer durch. Natürlich kennt nicht jeder Mensch in jedem Dorf Suaheli, aber es findet sich immer jemand, der es versteht.“
„Man braucht also dringend Ärzte da unten?“
„Und ob! Man braucht junge, kräftige Ärzte, die die unmenschlichen Strapazen auf sich nehmen können. Viele der Ärzte sind ganz überarbeitet, sie haben jahrelang keinen Urlaub gemacht.“
„Warum vertreten Sie nicht lieber einen Arzt dort unten als in einem Dorf in Norddeutschland?“
„Vorläufig mache ich diese Vertretung, um Geld zu verdienen. Ich überlege immer, ob ich so leichtsinnig sein soll, für eine oder zwei Wochen runterzufahren und mich zu orientieren. Erstens wegen der Möglichkeit einer Vertretung, zweitens über die Frage, ob ich an einem Krankenhaus in einer Hafenstadt eine Zeitlang arbeiten könnte.“
„Und Ihre Mutter?“
„Kommt mit! Herrgott, sie sehnt sich ja genauso zurück wie ich!“
„Lassen Sie
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