Umwege zum Glück
Tropenkrankheit und starben trotz der verzweifelten Versuche des Vaters, sie zu retten. Dann wurde Manfred geboren.
„Zu früh kam er auch noch, der Strolch!“ sagte Frau Ingwart lächelnd. „Mein Mann wollte ja, daß ich im Missionskrankenhaus entbinden sollte, aber mein Sohn wünschte es anders! Vierzehn Tage vor dem Termin meldete er seine Ankunft, und so eilig hatte er es, daß unser Boy eben nur seine Frau Choksi holen konnte. Die spielte Hebamme, und sie schaffte es vorzüglich, abgesehen davon, daß ihre und meine Begriffe in puncto Hygiene etwas auseinandergingen. Aber jedenfalls, als mein Mann an jenem Abend von seinen unzähligen Krankenbesuchen nach Hause kam, fand er mich im Bett mit einem gesunden Jungen im Arm!“
„Und da blieb er auch!“ stellte Manfred schmunzelnd fest.
„Ja, beinahe ein Jahr lang. Also nicht im Arm, sondern an der Brust! Ich dachte, warum sind die Kinder im Dorf gesund, warum gedeihen sie so herrlich, warum mußten meine eigenen beiden sterben? So beschloß ich, die einfache und weise Natur walten zu lassen. Ich trank literweise Milch, Ziegenmilch – Kuhmilch hatten wir nicht –, damit meine eigene Milchproduktion erhalten blieb. Ich ließ mir von Choksi zeigen, wie man ein Baby in einem Tuch auf dem Rücken trägt, und so trug ich Manfred, auch wenn ich ins Dorf ging oder wenn ich in unserem Gärtchen arbeitete. Oh, was für ein schönes Gefühl war es, den kleinen weichen, warmen Körper an der eigenen Haut zu fühlen, und wie richtig ist es, daß die Babies immer „Tuchfühlung“ mit der Mutter haben! Und wie herrlich war es zu merken, daß mein kleiner lebendiger Rucksack immer schwerer wurde! Er nahm prächtig zu, ohne feine Patentnahrung, ohne Kalorienausrechnen und – nunja, ohne alles, was besorgte europäische Eltern ihren Kleinen zukommen lassen. Das einzige war, daß er häufiger und gründlicher gewaschen wurde als seine kleinen schwarzen Spielkameraden.
Er sprach Deutsch und Suaheli durcheinander, dann kam auch Englisch dazu. Aber lange, glaube ich, betrachtete er Suaheli als seine eigentliche Sprache!“
„Können Sie es noch?“ fragte ich.
„Freilich! Meine Mutter und ich sprechen es manchmal spaßeshalber – oder wenn wir nicht wollen, daß andere Menschen uns verstehen!“
„Das muß eine große Umstellung für Sie gewesen sein, als Sie nach Deutschland kamen“, meinte ich.
„Das kann ich wohl sagen. Aber schließlich mußte ich ja eine Schulausbildung haben. Bis ich vierzehn war, hatte ich Muttchen als Lehrerin. Ja, sie war zum Glück Lehrerin von Beruf, bevor sie heiratete.
Eines Tages waren die Kräfte meines Vaters zu Ende. Er hatte eine schwere Krankheit durchgemacht – Amöbenruhr –, und er sah wohl selbst ein, daß es nicht mehr so weiterginge. Also verließen wir schweren Herzens unser Häuschen und unsere guten Freunde da unten. Mein Vater, der Norddeutscher war, wollte in seine Heimat zurück. Nun ja, so kam es also, daß wir hier landeten. Nach ein paar Jahren kamen die Nachwirkungen der bösen Krankheit. Mein Vater bekam einen Leberabszeß – und dann –, ja dann waren Muttchen und ich allein.“
Eine Pause entstand. Dann stand Frau Ingwart auf.
„Kinder, der Kaffee ist ja kalt geworden, ich mache schnell frischen. Ach, Manfred, zeig doch Fräulein Thams die Mansarde. Wenn es also wirklich Ihr Ernst ist – “
„Und ob!“ rief ich. „Ich bin ganz überglücklich bei dem Gedanken!“
Die Mansarde war nett und praktisch eingerichtet. Was ich brauchte, war alles da. Ein anständiger Schreibtisch, eine Kommode, das Bett in einer Nische mit Vorhang – herrlich, dann konnte kein Mensch es sehen, wenn ich keine Zeit gehabt hatte, das Bett zu machen! – und ein Bücherregal. Letzteres voll dicker Bücher, die sehr nach Fachliteratur aussahen.
„Ja, es sind meine Bücher aus der Studienzeit“, erklärte Manfred. „Soll ich sie vorerst stehenlassen, vielleicht brauchen Sie sie?“
„Und ob ich das tue! Ich begreife nicht, wie ich zu all diesem komme. Wie habe ich es nur verdient, soviel Glück zu haben?“
„Was das betrifft“ sagte Manfred, „bin ich es, der Glück hat. Es ist mir eine große Erleichterung zu wissen, daß meine Mutter nicht allein im Haus ist. Es stimmt schon, daß sie „zäh“ ist, wie sie immer sagt. Und sie wird böse, wenn ich sie an ihr Bandscheibenleiden erinnere – das hat sie nämlich. Aber schließlich ist sie bald siebzig, sie sollte sich etwas schonen können.“
„Deswegen
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