Umwege zum Glück
kommen Sie jedes Wochenende und erledigen das wöchentliche Großreinemachen?“ fragte ich.
„Nun ja, das tue ich. Diesmal fahre ich aber leichteren Herzens weg, weil ich weiß – ja, übrigens, wann können Sie einziehen?“
„Morgen, wenn Sie wollen!“
„Aber das Semester ist bald zu Ende, dann fahren Sie doch wohl nach Hause?“
„Das steht noch gar nicht fest. Es ist möglich, daß ich mir für die Semesterferien einen Job suche. Das machen meine Freundinnen auch.“
Ich hatte bis zu diesem Augenblick keine Sekunde an einen Ferienjob gedacht. Ich mußte, mußte dieses Zimmer haben, wenn ich auch vorläufig nicht nach Hause kommen könnte. Ich mußte hierbleiben, bei der reizenden alten Dame, in diesem Häuschen, bei der hübschen Katze, in dem idyllischen kleinen Dorf – und – und – nun ja, da war also noch ein Grund!
Nach einer weiteren Tasse Kaffee wollte ich aufbrechen.
„Dann sehen wir uns am Samstag hier?“ fragte Manfred. „Ich muß ja leider noch heut abend nach Hamburg.“
„Heut! Aber du liebe Zeit, das muß ich ja auch! Fahren Sie doch mit! Ich hole ja immer Sonntagabend eine Freundin, die übers Wochenende ihren kleinen Sohn besucht!“
Wenn ich bloß Anke noch am Telefon erwische, damit ich sie orientieren kann! dachte ich.
„Das paßt ja wunderbar, Fräulein Thams, wann fahren Sie?“
„Ich – ich habe versprochen, meine Freundin anzurufen und die Uhrzeit mit ihr zu verabreden“, log ich und bat in meinem Inneren um Verzeihung wegen der Lüge.
„Anrufen können Sie hier“, sagte Manfred. „Das Telefon steht im Schlafzimmer meiner Mutter.“
Er führte mich dort hinein und ließ mich allein. Ich hatte die Nummer von Ankes Schwiegereltern aufgeschrieben und bekam Anke noch zu fassen. Sie wollte grade zum Bahnhof und war freudig überrascht, als ich versprach, sie in zwei bis drei Stunden abzuholen.
„Wunderbar, dann kann ich selbst Peterchen baden und ins Bett bringen!“ rief sie begeistert. „Was hast du übrigens in Hamburg vor? Wieder etwas mit deinem Klaus?“
„Nein“, sagte ich. „Mit dem habe ich mich endgültig verkracht.“
„Gott sei Dank“, entfuhr es Anke.
Fahren wir gemeinsam!
„Ich kann es nicht fassen!“ sagte ich.
Wir hatten die ersten zehn Kilometer hinter uns. Wir fuhren die alte Strecke, wo wenig Verkehr war. Ich konnte mich mit gutem Gewissen mit meinem Mitfahrer unterhalten, was ich bei sehr starkem Verkehr nie tue.
„Was können Sie nicht fassen? Daß Sie noch Ihren Theodor haben?“
„Ja, das, natürlich - und daß all meine Sorgen mit einem Schlag vorbei sind! Ich habe Urgroßmutters Ohrring wieder, und ich habe ein entzückendes Zimmer – “
„Bei Leuten, die Ihre Briefe nicht lesen“, ergänzte Manfred.
„Und ich habe sogar die Aufgabe, der ich mich grade als – als – ja, was soll ich sagen – als Steckenpferd widmen wollte.“
„Was ist das für eine Aufgabe?“
Ich erzählte von meinem Plan, etwas für alte Menschen zu tun, ihnen die Einsamkeit ein bißchen aufzuhellen, ihnen Besorgungen abzunehmen.
„Und jetzt habe ich es im Haus!“ sagte ich. „Sie können sicher sein, Ihre Mutter wird keinen vollen Mülleimer tragen und keine schwere Einkaufstasche, solange ich im Hause bin! Aber – über Tag werde ich ja weg sein!“
„Mir ist es eine große Beruhigung zu wissen, daß ein Mensch da ist, der jeden Abend heimkommt und sich vergewissert, daß meine Mutter nicht krank geworden ist und daß ihr nichts zugestoßen ist! Aber sagen Sie, wie kamen Sie auf den Gedanken mit der Hilfe für alte Menschen?“
„Ich kann es gern erzählen, auf die Gefahr hin, daß Sie über mich lachen!“
Ich erzählte von dem Präparat auf dem Seziertisch, von der Hand der alten Frau – erzählte es, so wie ich es Madeleine erzählt hatte.
Manfred lachte nicht. Er saß still und horchte.
Dann legte er einen Augenblick seine Hand auf die meine auf dem Steuer.
„Was sind Sie für ein liebes kleines Mädchen“, sagte er, und seine Stimme war ganz sanft.
Nachher erzählte er von seiner Arbeit, was mich natürlich brennend interessierte. Er machte jetzt einen Kursus im Tropeninstitut. Dann wollte er im März eine Arztvertretung übernehmen. „Und da verdiene ich viel Geld!“ sagte er glücklich. „Es ist der praktische Arzt bei uns im Dorf, der endlich Urlaub machen wird. Er ist froh, daß er eine Vertretung kriegt, und ich bin froh, daß ich das Geld verdiene und zu Hause bei meiner Mutter bleiben kann,
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