Unberuehrbar
wirren Haare aus der Stirn. »Natürlich nicht. Es ist schön, dich hier zu sehen. Wo ist Chase?«
Reds Gesicht entspannte sich ein wenig. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. »In der Kiste. Er schläft.«
Kris stand auf. »Dann wecken wir ihn. Es wird Zeit für unsere Besprechung.«
Red hob, augenscheinlich überrascht, die Brauen. »Er sagt, schlafende Vampire kann man nicht wecken.«
Kris lächelte schief. »Chase hat noch viel zu lernen.« Er trat an die Kiste.
Der jüngere Vampir lag auf den Kissen, die Knie leicht angezogen, und rührte sich nicht. Noch nicht. Es war interessant, dachte Kris, dass Chase der Ansicht war, man könne schlafende Vampire nicht wecken. Im Grunde konnte das nur bedeuten: Er hatte es sehr nachdrücklich versucht. Und das wiederum machte Kris mehr Sorgen, als er sich selbst eingestehen wollte. Behutsam stieß er Chase’ Bewusstsein mit seiner Gabe an – vorsichtig genug, dass der jüngere Vampir später nicht merken würde, dass er geweckt worden war. Es war vielleicht besser, wenn er Chase für eine Weile in dem Glauben ließ, Vampirschlaf sei in allen Fällen absolut. Besser, wenn er nicht ahnte, warum Kris’ eigener Schlaf zurzeit so totenähnlich war.
Vorsichtig trat Kris zwei Schritte zurück und beobachtete, wie sein Zögling erwachte. Blinzelnd setzte Chase sich auf. Im ersten Moment hing noch ein Schleier vor seinen Augen. Doch nur Sekundenbruchteile später war sein Blick bereits wieder wach und scharf. Wenn Chase einmal älter war, dachte Kris, würde er ein beeindruckender Vampir sein. Und einer, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Ah, du bist wach. Das ist gut. Bereit für unsere Besprechung?«
Chase antwortete nicht sofort. Sein Blick wanderte von Red zu Kris und wieder zurück. Seine Miene war sehr düster an diesem Abend, düsterer noch als am Morgen, als er Kris zurückgelassen hatte, um Red zu holen. Endlich stand er auf, klappte den Deckel der Kiste zu und setzte sich darauf.
»Wir haben nur noch zwei Konserven.« Seine Stimme klangnüchtern – womit sie auch direkt beim Thema waren. Kris hatte das Timbre von Chase’ Blutgabe bisher nur selten gehört. Aber er zweifelte nicht daran, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis es sich endgültig durchsetzen würde. Zumindest, wenn Chase bald besser und regelmäßiger ernährt wurde.
Kris nickte langsam. »Ja, das wäre auch mein erster Punkt gewesen. Du brauchst eine eigene Quelle, Chase. Red reicht nicht mehr lange für uns beide. Und daher denke ich, das Erste, was wir tun sollten, ist, zu sehen, ob es hier in der Siedlung Menschen mit Wahrem Blut gibt.«
Er sah, wie sich Chase’ Finger einen Augenblick lang um die Kante der Konservenkiste verkrampften. Aber er sagte nichts. Er nickte nur knapp.
Red, der bisher schweigend auf dem Bett gesessen hatte, erhob sich nun ebenfalls, um sich neben Chase auf die Kiste zu hocken. Zu dicht für Kris’ Empfinden.
»Wir bleiben also hier.«
Es war eine Feststellung, keine Frage. Red musste wissen, wie lange es dauern konnte, wenn Kris und Chase das Blut jedes einzelnen Menschen in diesem Ort testen wollten. Seinem Gesicht war allerdings nicht abzulesen, was er darüber dachte. Kris spürte eine unbestimmte Unruhe, die von dem Jungen ausging – seiner eigenen ganz ähnlich. Im letzten Augenblick unterdrückte er ein besorgtes Stirnrunzeln.
»Eine Weile sicherlich, ja.«
Red warf einen Blick zum Fenster hinüber. Eine nachdenkliche Falte war zwischen seinen Brauen erschienen. »Aber irgendwann werden wir weiterziehen, richtig?«
Kris antwortete nicht sofort. Er war sich nicht sicher, was in diesem Fall die beste Antwort war. Chase wollte zurück nach Kenneth, und das so bald wie möglich, das wusste er. AberRed? Da war Kris sich nicht sicher. Er glaubte nicht einmal, dass Red selbst sich sicher war, was das betraf. Er schüttelte den Kopf und entschied sich, erst einmal auf einen konkreten Kommentar zu verzichten. »Vermutlich. Aber falls es hier tatsächlich Wahres Blut gibt, würde ich so bald keinen Grund dazu sehen.«
Er sah, wie Chase’ Gesicht sich verfinsterte und wie er einen langen Blick mit Red tauschte. Vermutlich, dachte Kris, hatten die beiden schon miteinander gesprochen. Das Pochen regte sich in seiner Brust, nervös und schnell, und ein säuerlicher Geschmack legte sich auf seine Zunge. Er hasste es, wie nah die beiden sich waren. Wie gut sie sich kannten. Aber das durfte weder Red
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