Unberuehrbar
ein Streicheln. Selbst Cedric spürte, wie sich bei dem Klang die Aufregung in seinem Magen ein wenig beruhigte, obwohl er doch gar nicht gemeint gewesen war. Dieser Teufelskerl,dachte Cedric ein wenig unbehaglich. Er wurde immer mächtiger. Und inzwischen war er auch stark und vor allem klug genug, zu verbergen, was er wirklich konnte. Es hätte beängstigend sein können. Aber im Augenblick war Cedric einfach nur froh, Kris wieder an seiner Seite zu haben. Es erleichterte vieles.
Pei Lins Blick flog inzwischen nervös von einem zum anderen. Zögernd setzte sie sich wieder hin, auf die äußerste Stuhlkante.
Und schließlich blieb ihr Blick an Cedrics Augen hängen. Sie starrte ihn an, als könne sie in seinem Gesicht die Antwort finden, was nun zu tun war.
»Er sagt, du verlierst die Kontrolle«, brachte sie heraus. Ihre Stimme klang brüchig. »Er sagt, du kannst den progressiven Wahnsinn nicht mehr lange aufhalten.«
Mühsam versuchte Cedric, seinen Atem ruhig zu halten. Aber seine Brust fühlte sich plötzlich eng an, so dass er glaubte, kaum noch Luft zu bekommen. Der progressive Wahnsinn? Wie von selbst hob sich seine Hand zur Schläfe, berührte den äußeren Augenwinkel. Seine Iriden, gelb gefärbt durch Katherines Blut. Zusammen mit den Narben an seiner Schulter waren sie Zeugnis des Tages, als seine progressive Geliebte ihn gebissen hatte. Die Geliebte, die nun fort war.
Ja, dachte Cedric bitter, das war eine Geschichte, die wunderbar mit langsam durchbrechendem Wahnsinn zusammenpasste. Genau das würde Dorian erzählt haben. Und den Wächtern für innerstädtische Sicherheit war es ganz sicher egal, wie viel davon der Wahrheit entsprach. Oder wie sicher Cedric selbst sich war, dass für eine Infektion seines Geistes nach wie vor nur minimale Gefahr bestand.
Pei Lins Stimme war sehr leise geworden, als wolle sie selbst nicht hören, was sie zu sagen hatte. »Er will dich wegsperren lassen.«
Cedric schloss kurz die Augen. »Und die Leitung von White Chapel übernehmen«, ergänzte er düster.
Pei Lin nickte schwach. Dann aber stand sie erneut auf, kaum weniger ruckartig als zuvor. »Ihr müsst jetzt wirklich gehen. Das ist alles, was ich weiß.«
Langsam erhob Cedric sich ebenfalls. Ja, sie sollten gehen, dachte er. Er konnte von Pei Lin nicht verlangen, sich offen auf seine Seite zu stellen. Oder sich gar gegen die Ordnungshüter und das Gesetz aufzulehnen. Was das betraf, hätte er jeden auf der Welt gefragt. Aber nicht Pei Lin. Sie hatte ihm erzählt, was sie wusste. Es gab sonst nichts, was seine ehemalige Assistentin für ihn tun konnte. Fast nichts.
»Nur eins noch.« Cedric stützte die Hände auf die Tischplatte, um das Zittern zu verbergen, das seine Finger befiel. »Was ist mit Sid?«
Aber Pei Lin schüttelte nur den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ehrlich.« Sie ging zur Küchentür und hielt sie auf. Ihre Augen waren dunkel vor unterdrückter Angst. »Geh jetzt, Cedric, bitte! Ich kann dir nicht helfen.«
Cedric sah zu Kris. Der nickte fast unmerklich. Es war wirklich an der Zeit, aufzubrechen.
Sie folgten Pei Lin durch den Flur zurück zur Wohnungstür. Bevor sie gingen, sah Cedric seine ehemalige Assistentin noch einmal ernst an. »Ich danke dir für alles, meine Liebe. Ich verspreche dir, ich werde alles tun, damit du nicht in diese Sache hineingezogen wirst.«
Pei Lin nickte. Aber es wirkte ein wenig verkrampft, und sie sah weder Cedric noch Kris an, als sie auf den linoleumgrünen Flur hinaustraten. Hinter ihnen schloss sich die Tür mit einem seltsam endgültigen Klacken – gefolgt von dem Klappern, mit dem Pei Lin die Sicherungskette wieder vorlegte.
Kapitel Vier
46 West Street, Kenneth, Missouri
Die Sonne kroch langsam hinter den Wolken über den Horizont und tauchte den Raum in ein mattgraues Licht.
Red saß noch immer auf dem Boden, den Rücken an die Schranktüren der Küchenzeile gelehnt. Neben ihm, zusammengerollt und den Kopf auf seinen Oberschenkel geschmiegt, lag Blue. Frei. Wer auch immer.
Sie hatte die ganze Zeit über, seit sie hier saßen, nichts gesagt, ihn nicht mal angesehen. Aber sie hielt sich an ihm fest, als hätte sie Angst, er könnte verschwinden, wenn sie einen Moment nicht aufpasste. Selbst jetzt, wo sie bereits seit einer Weile schlief und ihre Hand nur locker auf seinem Knie lag, zuckte sie jedes Mal zusammen, wenn er seine Sitzposition auch nur um Millimeter veränderte. Dabei hatte Red nicht die Absicht zu verschwinden. Nicht im
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