Unberuehrbar
der Forschung auch nur entfernt mit ihrem Fachbereich zu tun hatte, der kam auf Dauer weder um die Ergebnisse herum, die Dorian im Lauf der Jahrzehnte über die Wirkungsweise von Arretin und Relacin veröffentlicht hatte, noch um Cedrics umfassende Untersuchungen zur Sequenzierung und Synthetisierung dieser beiden Enzyme. Ihr privater Konkurrenzkrieg hatte inzwischen eine lange Tradition.
»Wenn ich es genau bedenke, bestand das Literaturverzeichnis meiner Masterarbeit fast ausschließlich aus Artikeln von ihm.« Kris lächelte schief. »Die restlichen waren von dir.«
Cedric schwieg. Das Lachen war längst wieder aus seiner Kehle verschwunden und hatte nur einen säuerlichen Geschmack zurückgelassen. Er starrte durch die Windschutzscheibe auf die Rücklichter des Autos vor ihm und weiter nach vorn auf die Pfeiler der Silver Bridge, die nun hinter einer Kurve in Sichtweite kamen. Noch zwanzig Minuten. Wenn sie Glück hatten.
Inzwischen hatte es wieder zu regnen begonnen. Dicke Tropfen klatschten auf die Scheiben und zogen im blinkenden Licht der Werbeanzeigen und Scheinwerfer glitzernde Spuren über das Glas. Cedric schaltete den Scheibenwischer ein.
»Er ist hier«, sagte er schließlich. »Er hat deinen Platz eingenommen.«
Kris atmete scharf ein, und Cedric spürte, wie ein bitteres Lächeln auf seinem Gesicht erschien.
»Unsere Beziehung ist … nennen wir es speziell.« Er schüttelte den Kopf. »Kurz gesagt: Er hasst mich. Schon immer eigentlich, aber seit der Eröffnung von White Chapel ganz besonders.«
Eine Weile blieb es auf dem Beifahrersitz still. Dann räusperte sich Kris. Es klang ein wenig mühsam.
»Will er deine Stelle?«
Cedric seufzte verhalten. »Vielleicht will er das. Wahrscheinlich sogar. Aber noch viel mehr will er mich fertigmachen.« Er warf noch einen Blick zu Kris hinüber, der ihn aufmerksam aus seinen dunklen Augen musterte. »Und ich fürchte, dass ich vorgestern einige massive Schädigungen an seinem Stammhirn verursacht habe, hat unser Verhältnis nicht unbedingt entspannt.«
Für einen Moment sah er, wie Kris’ glatte Gesichtszüge aus dem Gleichgewicht gerieten. »Du hast …« Er brach ab und schüttelte fassungslos den Kopf.
Cedric verengte die Augen und sah wieder nach vorn. »Er war auf der Jagd nach Frei. Ich hatte keine Wahl.«
Kris schwieg. Doch selbst sein Schweigen klang nun düster. Er verstand. Und spätestens jetzt musste ihm allmählich dämmern, auf was er sich eingelassen hatte, als er Cedric zusagte, wieder mit ihm zu arbeiten.
Cedric schloss seine Hände fester um das Lenkrad. Es kostete ihn einige Mühe, seine Stimme ruhig zu halten.
»Ich kann nicht vernünftig arbeiten ohne einen fähigen Biotechniker an meiner Seite«, erklärte er so sachlich wie möglich. »Dass du deine Stelle wieder antrittst, war die einzige halbwegs sinnvolle Lösung, die mir eingefallen ist. Deswegen habe ich alles getan, um Frei bei ihrer Suche nach Red zu helfen. Ich wusste, du würdest dort sein.« Er verzog den Mund. »Dass du dich so bald von selbst melden würdest, hätte ich allerdings nicht erwartet.«
Kris antwortete nicht sofort. Eine nachdenkliche Falte war zwischen seinen Brauen erschienen. »Die Situation gestaltet sich ja nun anscheinend noch um einiges komplizierter.«
Cedric nickte ernst. »So ist es. Und wir haben im Augenblick auch nicht viel Handlungsspielraum, fürchte ich. Erst einmal müssen wir herausfinden, wie die Lage ist. Und dann sehen wirweiter.« Noch einmal sah er zu Kris hinüber, musterte eingehend das schmale Gesicht, das so wenig von dem verriet, was hinter seiner Stirn vor sich ging. »Das ist deine letzte Möglichkeit auszusteigen. Also, wie ist es? Kann ich auf dich zählen?«
Die Falte zwischen Kris’ Brauen vertiefte sich um eine Winzigkeit. Dann aber nickte er. Sein Blick, als er Cedric in die Augen sah, war offen und ernst.
»Das kannst du. Bedingungslos.«
Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend.
Sie hielten direkt vor den Stufen, die zum Eingang von White Chapel hinaufführten. Der Regen war stärker geworden und hing wie ein düsterer Vorhang zwischen ihnen und der Station, die sich schwarz und abweisend über ihnen erhob. Nirgendwo im Gebäude brannte Licht. Die Parkplätze, auf denen für gewöhnlich Pei Lins und Dorians Autos standen, waren leer.
Cedric stieß die Autotür auf und lief die regennassen Stufen hinauf. Kris folgte ihm auf den Fersen. Schon nach wenigen Schritten waren sie bis auf die Knochen
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