Unberuehrbar
Geringsten.
Er vergrub seine Finger behutsam in den weichen Locken und streichelte den Haaransatz in ihrem Nacken, wieder und wieder, bis ihr Atem sich beruhigte.
Red seufzte und lehnte den Kopf gegen den Schrank hinter ihm. Sein Blick wanderte hinüber zu Elizabeth. Sie hockte noch immer bei der Tür, unter den Garderobenhaken, und sah nur gelegentlich zu ihnen herüber. Doch wann immer er ihren Blick festzuhalten suchte, wandte sie sich ab und sah stattdessen zu Hannah und Eloy, die hinter dem Tisch an der Fensterfront standen und die Straße beobachteten. Sie unterhielten sich leise und eindringlich. Aber Red hörte nicht zu. Er hattegenug eigene Sorgen. Er wollte nicht wissen, welche Probleme die anderen hatten.
Noch einmal versuchte er, Elizabeths Blick zu fangen. Als ihre Augen sich trafen, bemühte er sich zu lächeln und wusste, dass es traurig geriet und sehr kläglich. Etliche Sekunden starrte Elizabeth ihn an. Dann presste sie die Lippen zusammen und senkte den Blick.
Sie würden das klären müssen, dachte Red. Seit ihrem verzweifelten Streit im Schmiedekeller hatten sie nicht ein einziges Wort miteinander gesprochen. Aber was hätte er ihr sagen sollen? Er hätte ja nicht einmal mehr richtig benennen können, was er eigentlich für sie fühlte. Vor zwei Tagen hatte er noch geglaubt, sie lieben zu können, wenn er es nur zuließ. Dieses Mädchen, das so unberührt, so menschlich war. Aber …
Red befreite vorsichtig seine Finger aus Blues Haaren und strich sanft über die weiße Haut über ihrem Wangenknochen. Loslassen war so viel schwerer, als er geglaubt hatte. Wenn nicht sogar unmöglich – jetzt, wo er sie endlich gefunden hatte. Er hätte das von Anfang an wissen müssen. So betrachtet, war alles, was geschehen war, seine Schuld. Sogar, dass Chase …
Red schüttelte sich innerlich. Er durfte so nicht denken, oder es würde ihn früher oder später auffressen.
In diesem Augenblick brach das Summen des Fahrstuhls unerwartet laut in die Stille. Hannah und Eloy fuhren herum, Elizabeth sprang auf die Füße, als hätte sie etwas gestochen, und auch Blue schreckte mit einem leisen Keuchen in die Höhe.
Red blieb sitzen. Aber er sah den beiden Vampiren, die nun die Wohnung betraten, aufmerksam entgegen. Und schon als sich die Eingangstür öffnete, wusste er, dass sie keine guten Nachrichten zu überbringen hatten.
Für etliche Sekunden standen Kris und Cedric auf der Schwelle. Dann räusperte sich Cedric.
»Setzen wir uns.« Er wies auf die grünen Sofas in der Sitzecke und legte seine Hand auf Elizabeths Schulter, die zusammenzuckte und vergeblich versuchte, im Schatten zu verschwinden. »Du auch.«
Langsam stand Red auf und streckte Blue eine Hand entgegen, um ihr ebenfalls auf die Füße zu helfen. Sie schwankte ein wenig auf vom Schlaf unsicheren Beinen. Doch als Red ihr den Arm bot, um sich darauf zu stützen, presste sie die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Es geht schon«, murmelte sie. »Danke.«
Die anderen hatten inzwischen auf den Sofas Platz genommen. Cedric saß in einem Sessel gegenüber. Red überließ Blue den letzten freien Platz und hockte sich neben sie auf die Lehne des kleineren Sofas. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen.
Dann aber räusperte sich Hannah.
»Also, Jungs.« Sie sah von Cedric zu Kris und wieder zurück. »Was war los in White Chapel?«
Sie musste einige Sekunden auf ihre Antwort warten. Und am Ende war es Kris, der sie gab, nicht Cedric. Kris lächelte, aber es wirkte ein wenig gezwungen.
»Wir heißen Cedric willkommen«, sagte er, und seine Stimme klang sehr trocken ironisch dabei, »auf der Seite der Gesetzlosen.«
Red sah, wie einige tiefe Falten auf Cedrics Stirn erschienen. Niemand lachte. Dies war alles andere als komisch. Red sah zu Hannah, doch auch die hob nur fragend die Brauen.
Cedrics Mund war nur noch eine schmale, verkniffene Linie. »Es scheint«, erklärte er schließlich, und die Falten gruben sich noch etwas tiefer in seine Haut, »man will mich festnehmen.«
Blue riss überrascht die Augen auf, und Hannah hustete, als hätte sie sich an Cedrics Worten verschluckt. »Wieso?«
Cedric schüttelte grimmig den Kopf. »Das ist eine lange und komplizierte Geschichte. Fest steht, dass ich White Chapel zurzeit nicht auf dem traditionellen Weg betreten kann. Und ich glaube außerdem, dass mein Wächter auf irgendeinem Weg … ausgeschaltet wurde.«
Für eine Weile war das Schweigen im Raum so absolut, dass es fast
Weitere Kostenlose Bücher