Unberuehrbar
beängstigend war. Reds Nackenhaare richteten sich prickelnd auf. Der Wächter? Ausgeschaltet? Wie sollte das möglich sein? Red erinnerte sich zu gut an den weißhaarigen Vampir mit dem teuflischen Grinsen, der sie alle mit einem Fingerschnipsen überwältigt hatte. Und auch wenn sie nur Menschen gewesen waren – so jemanden schaltete man nicht einfach aus.
Kris sah von einem zum anderen. Er musste zumindest ahnen, was Red durch den Kopf ging. Vermutlich wusste er es sogar ziemlich genau.
»Zum Glück«, sagte er sehr ruhig, »wissen wir ja inzwischen, dass es auch alternative Wege gibt, um nach White Chapel zu kommen.« Er sah zu Cedric hinüber, als wolle er zu verstehen geben, dass er diese Entscheidung am Ende ihm überlassen wollte.
Cedric aber nickte langsam, obwohl sein Gesicht nach wie vor grimmig war. »Wie es aussieht, bleibt uns nichts anderes übrig. Ich muss Sid finden. Und zwar so schnell wie möglich.«
Wieder fiel unbehagliches Schweigen über die Gruppe.
Und wieder war es Hannah, die es schließlich brach. »Also … was auch immer ihr vorhabt.« Sie tauschte einen Blick mit Eloy. Der nickte fast unmerklich, und Hannah sah wieder zu Kris. »Wir kommen nicht mit.«
Kris’ Brauen zuckten in die Höhe. Er sah ehrlich überrascht aus – und nicht gerade begeistert. »Ach so?«
Hannah sah ihm fest in die Augen und nickte. »Es liegt nichtan dir.« Ihre Stimme klang ein wenig gepresst. »Wir haben im Flugzeug geklärt, dass du ein mieses Arschloch bist, und ich habe dir gesagt, es ist okay, weil es schon immer so war. Ich meine das auch so. Aber – diese ganze Wissenschaftssache. Das ist deine Welt, nicht meine. Und das weißt du auch.« Sie sah zu Eloy, und ein winziges Lächeln erschien in ihren Mundwinkeln, das der Mensch ebenso zurückhaltend erwiderte. Aber Red hatte es gesehen. Und Kris ganz sicher ebenso.
»Ich fange neu an«, fuhr Hannah fort, und ihre Stimme klang jetzt sicherer. »Ohne dich. So wie ich es geplant hatte, als du weg warst. Und wenn du blöder Idiot auch nur ein wenig Anstand im Leib hast, dann lässt du mich jetzt einfach gehen, okay?«
Kris sagte gar nichts. Auch seinem Gesicht war nicht anzusehen, was er von dieser Eröffnung hielt. Etliche Sekunden lang sahen er und Hannah sich an, als seien sie ganz allein im Raum. Dann aber senkte Kris langsam den Kopf, wie in stummer Zustimmung.
Cedric seufzte. Es klang halb resigniert, halb erleichtert. »Ich kann niemanden zwingen, sich mir anzuschließen«, sagte er, und seine Stimme klang müde dabei. »Ich hoffe nur, Eloy wird uns seine Fahrdienste ein letztes Mal zur Verfügung stellen.«
Eloy sah fragend zu Hannah. Die aber nickte nur. »Wir werfen Sie im Haywood Forest hinter der Station raus. Kein Problem.«
Cedric nickte langsam. »Gut. Ich danke euch.« Er sah von einem zum anderen und stand schließlich langsam auf. »Wir sollten dann jetzt alle versuchen, uns noch ein paar Stunden auszuruhen. Die Sonne geht auf, und wir haben anstrengende Tage hinter uns.«
Red sah, wie Hannah den Mund öffnete – vermutlich um eine erstaunte Frage über die Zeitverzögerung zu stellen, nachdemer doch eben noch auf Eile gepocht hatte. Aber Cedric schüttelte nur den Kopf.
»Ich brauche Frei.« Sein Blick traf auf Blues, die merklich zusammenzuckte. Ein schiefes Lächeln verzog flüchtig seine Lippen. »Ich weiß, dass du und Sid nicht die besten Freunde seid. Aber ich würde dich gern bitten, mir dabei zu helfen, ihn zu finden.«
Red sah Blue schlucken. Ihre Hände verkrampften sich zu Fäusten. Er konnte nur ahnen, warum sie solche Angst vor dem Wächter hatte. Es machte ihn selbst ganz unruhig.
Blue aber nickte. »Wenn du glaubst, dass ich dir nicht nur lästig bin …«, murmelte sie.
Das Lächeln auf Cedrics Gesicht war nun deutlicher zu sehen. »Niemals, Frei. Das weißt du doch.« Er nickte und sah noch einmal in die Runde. »Also. Gehen wir schlafen. Bei Sonnenuntergang brechen wir auf.«
Kapitel Fünf
Haywood Forest, Kenneth, Missouri
Eloy fuhr sie über Umwege aus der Stadt hinaus und in einem großen Bogen bis an den Rand des Haywood Forest, der sich hinter einem weitläufigen Getreidefeld im Osten von White Chapel erstreckte. Dort trennten sie sich.
Es fielen keine großen Abschiedsworte, obwohl Red das seltsame Gefühl hatte, es müsse doch noch etwas zu sagen geben. Wortlos standen sich Hannah und Kris gegenüber, während sich der Rest der Gruppe schweigend im Hintergrund hielt. Hannahs Schultern waren
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