Unberuehrbar
regte sich in seinem Magen. Es war fast, wie nach Hause zu kommen, dachte er und unterdrückte ein selbstironisches Kopfschütteln. Dies war kaum der richtige Augenblick für Nostalgie.
Er wandte sich zu Elizabeth um, die in der Mitte des Raums stehen geblieben war und den Blick über die Einrichtung wandern ließ. Die Hand hatte sie über Mund und Nase gelegt, als versuchte sie, den stechenden Geruch der Lösungsmittel auszusperren. Dabei, dachte Kris belustigt, musste ihre Hand ja noch viel übler riechen.
»Wir müssen uns umziehen«, erklärte er und trat zu der Wäschetruhe bei den Spinden, die an der Wand neben der Luftschleuse aufgereiht waren. »In der Biotechnik ist Schutzkleidung Pflicht, und ich denke nicht, dass wir die nächsten Stunden unter den Besucherüberwürfen verbringen wollen.«
Elizabeth nickte stumm, und Kris öffnete die Truhe und nahm zwei eingeschweißte Stapel säuberlich gefalteter Schutzkleidung heraus. »Da drüben kannst du dich waschen.« Er deutete auf ein tiefes Waschbecken, fast so groß wie eine Badewanne, und legte eines der Päckchen auf den Rand. »Ich warte so lange draußen.«
Elizabeth runzelte die Stirn und musterte ihn einen Moment lang mit rätselhaftem Blick.
»Interessieren dich solche Dinge denn überhaupt?«, fragte sie dann unvermittelt leise. »Wenn eine Frau sich auszieht?«
Kris hob überrascht die Brauen. Fast hatte er nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt noch etwas sagen würde. Seit sie Schottland verlassen hatten, schien es, als habe sie den größten Teil ihrer Energie und Lebendigkeit dort gelassen. Sie war fast wie eine Puppe, zumindest hatte er diesen Eindruck gewonnen. Jetzt aber glomm in ihren Augen ein wacher Funke, der Kris erstaunte.
Er lächelte schief. »Warum sollte es nicht?«
Elizabeth hob leicht die Schultern. »Du bist ein Vampir«, sagte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ich dachte … ihr seid so anders.«
Kris musterte sie nachdenklich. Er ahnte, dass mehr hinter ihrer Frage steckte, als die Worte aussagten. Aber er konnte es noch nicht recht greifen. Er nickte langsam. »Vielleicht liegt es daran, dass wir so viel älter sind als ihr. Die meisten von uns jedenfalls. Auch als Vampir wird man nicht automatisch alt und weise. Aber je älter wir werden, desto weiter entfernen wir uns von euch.« Er dachte noch einen Augenblick über seine nächsten Worte nach. »Zu wissen, dass man nicht sterben wird, ändert vieles. Das Denken, das Fühlen, die Sicht auf die Welt – und insbesondere auf alles Sterbliche. Aber ich würde behaupten …«, er lächelte leicht, »wir sind alle auf unsere eigene Art privilegiert. Nicht jeder ist für die Unsterblichkeit gemacht.«
Eine steile Falte erschien zwischen Elizabeths Brauen. Ihre Finger zupften unruhig am Ärmelsaum ihrer verschmierten Jacke. »Willst du damit etwa sagen, du warst auch mal ein Mensch?«
Kris betrachtete sie verblüfft. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, dass das vielleicht gar keine so offensichtliche Tatsache war. Er selbst hatte es immer gewusst, natürlich, schließlich war er bei seiner eigenen Verwandlung dabei gewesen, und schon zuvor hatte es in der Welt der Menschen etliche Mythen,Geschichten, Lieder und Filme über Vampire gegeben. Aber woher sollte ein Mädchen wie Elizabeth, das weit jenseits dieser Zeit aufgewachsen war, davon erfahren haben?
»In gewisser Weise«, sagte er nachdenklich, »bin ich wohl immer noch einer. Nur eben ohne die nötige Menschlichkeit.« Er zuckte leicht die Schultern. »Und um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, es würde mich wohl kaum noch berühren, dir dabei zuzusehen, wie du dich ausziehst.« Er lächelte. »Was aber nicht daran liegt, dass du keine begehrenswerte Frau bist. Nur sind diese Dinge für mich nicht mehr wesentlich, wenn du verstehst.«
Elizabeths Stirnrunzeln vertiefte sich. »Dann ist es für dich nur wichtig, ob du von mir trinken kannst oder nicht?«
Kris seufzte leise. Wie schwierig es war, dachte er, ihr diese Dinge zu erklären, wo sie doch noch nie erlebt hatte, wie wundervoll die Verbindung zwischen Vampir und Mensch sein konnte. »So könnte man es sagen, ja.«
Elizabeth sah ihn etliche Sekunden lang unverwandt an. Dann drehte sie sich um, streifte sie mit entschlossenen Bewegungen ihre Kleider ab, bis sie nur noch in ihrer Unterwäsche dastand, die zumindest nicht völlig von dem Brackwasser aus dem Abflussrohr getränkt war. Die schmutzigen Sachen ließ sie einfach liegen, wo sie
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