Unbeugsam
geschehen war, klammerte sie sich im Geist an das Bild, das sie in der Zeitung nach den Ereignissen von Nauru gesehen hatte: Louie, der durch ein Einschussloch in der Seite von
Super Man
hindurchblickte. Das Bild hatte in ihr die Vorstellung entstehen lassen, dass auf Louie geschossen wurde, und um diese Vorstellung kreisten auch ihre Alpträume: nicht ein Absturz, nicht das Ausgesetzt-Sein auf dem Pazifik, nur Geschosse, die Louie schwer verletzten, während er in seinem Flugzeug saß. Immer versuchte Sylvia in ihren Träumen, zu Louie hinzukommen, doch gelang es ihr nie. Aber so schlimm ihre Alpträume auch waren – Louies Tod kam darin nicht vor. Selbst in ihrer Vorstellung und in ihren Träumen blieb der Tod ihres Bruders für Sylvia ein Tabu.
Im Dezember 1943 bereitete sich die Familie auf das erste Weihnachtsfest ohne Louie vor. Jeden Tag kam der Postbote an die Tür und übergab stapelweise Weihnachtskarten und -briefe, in denen die meisten Absender ihr Mitgefühl zum Ausdruck brachten. Der Weihnachtsbaum wurde mit Popkorn- und Cranberryketten geschmückt, und unter dem Baum lag auch ein Berg von Geschenken für Louie. 5 Die Geschenke wurden später unangetastet weggeräumt; alle Familienmitglieder glaubten fest daran, dass Louie eines Tages heimkommen und sie selbst öffnen würde.
Louise kaufte eine kleine Weihnachtskarte, 6 auf der ein Engel in rotem Gewand abgebildet war, der inmitten einer Herde von Lämmern steht und in eine Trompete bläst. Auf die Rückseite der Karte schrieb sie:
Lieber Louis. Wo du auch gerade sein magst – du wirst dir sicher wünschen, dass wir uns vorstellen, dass du in Sicherheit bist und es dir gut geht. Gott behüte dich + leite dich. Ganz liebe Grüße von allen. Mutter Dad Pete Sylvia und Virginia. Erster Weihnachtstag 1943.
|252| Zwei Monate später eroberten die Amerikaner nach ausgedehntem Flächenbombardement die Insel Kwajalein. Der dichte Dschungel war komplett niedergemäht; an seiner Stelle gähnten tiefe Krater, gesäumt von verbrannten Baumstümpfen und aufgewühlter Erde. »Die ganze Insel sah aus, als hätte jemand sie 6000 Meter hochgehoben und dann fallengelassen«, sagte ein Soldat. 7 In den Trümmern eines Verwaltungsgebäudes wurde ein Packen Dokumente entdeckt. Draußen fiel einem Soldaten, der sich seinen Weg durch die Überreste einer Holzbaracke bahnte, ein langes Stück Holz mit einer Inschrift auf, und er grub es aus. 8 Eingeritzt auf dem Brett war in Großbuchstaben der Name LOUIS ZAMPERINI.
Auf Oahu wurde Joe Deasy nach Hickam Field bestellt. Als er eintraf, händigte man ihm die Übersetzung von einigen der auf Kwajalein gefundenen japanischen Dokumente aus. 9 Er fing an zu lesen. In den Dokumenten hieß es, zwei amerikanische Flieger seien aus einem Rettungsboot aufgefischt und nach Kwajalein verbracht worden. Ihre Namen wurden nicht genannt, wohl aber ihre Funktion – ein Pilot und ein Bombenschütze. Sie waren die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes, zu dem auch das Datum angegeben wurde; drei Männer hatten überlebt, von denen einer später auf dem Boot gestorben war. Die beiden anderen waren 47 Tage auf dem Pazifik unterwegs gewesen. Unter den Papieren befanden sich Verhörprotokolle und Zeichnungen von B-24-Bombern, die die Gefangenen angefertigt hatten. Das Protokoll hielt fest, dass die Männer, nachdem sie verprügelt worden waren, mit dem Schiff nach Japan weitergeschickt wurden.
Als Deasy das Protokoll las, war ihm sofort klar, wer die Männer waren. Deasy war schon lange im Krieg, und seine Kriegserfahrungen hatten seine Gefühle ziemlich abstumpfen lassen, doch diese Zeilen hatten für ihn den Charakter einer Offenbarung: Phillips und Zamperini hatten ihren Absturz überlebt. Deasys Begeisterung war jedoch von deprimierendem Schuldgefühl begleitet: Bei ihrer akribischen Suche hatten sie – ganz im Gegensatz zu den Feinden – die abgestürzten Männer übersehen.
»Ich war glücklich, sie gefunden zu haben«, erinnerte sich Deasy, »aber gleich anschließend tauchte die Frage auf: Wo zum Teufel sind sie jetzt?« 10 Wenn der Bericht über ihren Transport nach Japan korrekt war, dann hieß das ja durchaus noch nicht, dass sie lebend angekommen waren, oder dass sie das überlebt hatten, was sie dort erwartete.
Das Militär wusste jetzt mit ziemlicher Sicherheit, dass jeder, der damals zur Besatzung der
Green Hornet
gehört hatte, tot war, mit Ausnahme von Zamperini und Phillips. Aber die Familien der Toten und der
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