Unbeugsam
außerdem würde er sich bestimmt mit seiner Familie in Verbindung setzen können. Auch Phil erfuhr, dass er nach Yokohama gebracht werden sollte. Er war überrascht und voller Hoffnung.
Am 26. August 1943, 42 Tage nach ihrer Ankunft auf der Hinrichtungsinsel, wurden Louie und Phil aus ihren Zellen geholt, nackt ausgezogen und mit mehreren Eimern Wasser übergossen, dann durften sie ihre Kleider wieder anziehen, und man brachte sie zu dem Schiff, das sie nach Japan bringen sollte.
Nachdem seine Zellentür sich hinter ihm geschlossen hatte, warf Louie auf der Suche nach dem freundlichen Kawamura noch einmal einen Blick über das Gelände. Der aber war nirgends zu sehen.
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Glaube
H inter der High School von Torrance gab es einen kleinen Wald. Sylvia Zamperini Flammer fuhr in den Monaten, nachdem ihr Bruder als vermisst gemeldet worden war, häufig abends zur Schule, parkte ihren Wagen unter den Bäumen und saß dort in der stillen Dämmerung allein. Während es langsam dunkler wurde, liefen ihr die Tränen über die Wangen. 1 Manchmal schluchzte sie auch laut, konnte sie hier doch sicher sein, dass niemand sie hörte. Nach einer Weile wischte sie sich dann die Tränen ab, setzte sich wieder gerade hin und ließ den Wagen an.
Auf dem Heimweg überlegte sie, was für eine Lüge sie diesmal als Erklärung vorbringen sollte, warum sie für den Weg zur Post so lang gebraucht hatte. Niemand erfuhr etwas von ihrer Angst.
Auf das Telegramm vom 4. Juni 1943, das Louies Verschwinden gemeldet hatte, folgte quälendes Schweigen. Viele Wochen vergingen, und die Suche des Militärs brachte keine Spur von Louie, seiner Crew oder seinem Flugzeug zutage. In der Stadt schwand die Hoffnung; aus den Gesichtern ihrer Nachbarn kam den Zamperinis, wenn sie das Haus verließen, ständig wachsende Resignation entgegen.
Innerhalb des weißen Hauses an der Gramercy Avenue war man allerdings ganz anders gestimmt. 2 Gleich in den ersten Tagen nach Eintreffen des Telegramms war in Louise die Gewissheit erwacht, dass ihr Sohn lebte. Ihr Mann und ihre Kinder teilten diese Gewissheit. Tage vergingen, dann Wochen; der Frühling ging in den Sommer über; man hörte kein Wort. Und trotzdem war ihre Gewissheit nicht zu erschüttern. Für sie war Louie noch da, man sprach von ihm in der Gegenwartsform, als hätte er nur eben für einen Besuch bei den Nachbarn das Elternhaus verlassen und würde jeden Augenblick zurückerwartet.
Diese Haltung war keine Verdrängung, aber auch Hoffnung wäre der falsche Begriff. Es war Glaube. Louise, Anthony, Pete und Virginia spürten nach wie vor Louies Anwesenheit; sie konnten ihn noch immer
fühlen
. Ihr Leiden rührte nicht aus der Trauer um ein aufgegebenes Familienmitglied, |249| sondern aus dem Wissen, dass Louie irgendwo in Schwierigkeiten steckte und dass sie ihn nicht erreichen konnten.
Am 13. Juli hatte Louise das Gefühl, es müsse nun dringend etwas geschehen. Sie schrieb einen Brief an Major General Willis Hale, den Kommandanten der Seventh Air Force. 3 Darin flehte sie Hale an, die Suche nicht aufzugeben; Louie, so schrieb sie, war sicher am Leben. Louise wusste natürlich nicht, dass Louie an genau diesem Tag in Gefangenschaft geriet.
Einige Wochen später kam aus Hales Büro eine Antwort. In dem Brief hieß es, in Anbetracht der Tatsache, dass die Suche bisher keinerlei Hinweise erbracht habe, habe sich die Militärverwaltung gezwungen gesehen zu akzeptieren, dass Louie und die anderen Männer endgültig vermisst waren. Man bringe die Hoffnung zum Ausdruck, dass Louise sich damit abfinden könne. Louise zerriss den Brief in kleine Stücke.
Pete war nach wie vor in San Diego und unterrichtete Rekruten der Navy. Die Sorgen lasteten schwer auf ihm. Manchmal fuhr er nach Torrance, um seine Familie zu besuchen, und seine Angehörigen sahen mit Sorge, wie dünn er geworden war. Im September kam der letzte Brief, den er an Louie geschrieben hatte – nur wenige Stunden bevor seine Familie von dem Absturz in Kenntnis gesetzt worden war – als Rücksendung wieder bei ihm an. Auf die Vorderseite des Umschlags waren die Wörter
Auf See vermisst
gekritzelt. Und auf die Rückseite war aufgestempelt UNFALLSTATUS BESTÄTIGT. Auch Petes Foto befand sich noch in dem Umschlag.
Im selben Monat wurde Harvey, Sylvias Ehemann, eingezogen. Er sollte seine Frau zwei Jahre lang nicht wiedersehen. Sylvia war jetzt allein mit der Sorge um ihren Bruder und ihren Mann, niemand war da, mit dem sie ihren Kummer
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