Unbeugsam
ihr als vernünftiger, gebildeter junger Frau eigentlich gar nicht entsprach. Sie ging zu einer Wahrsagerin und fragte sie, was mit Allen geschehen war. 16
Die Wahrsagerin teilte ihr mit, dass Allen nicht tot war. Er sei zwar verwundet, aber am Leben. Er würde, so die Wahrsagerin, noch vor Weihnachten gefunden werden. Cecy klammerte sich an diese Worte und glaubte sie.
Phils Verlobte Cecy Perry.
Im Frühjahr 1944 begannen die Mütter
und auch andere Angehörige der Besatzungsmitglieder |255| der
Green Hornet
miteinander zu korrespondieren. In Dutzenden Briefen, die kreuz und quer durch Amerika expediert wurden, teilten sie ihre Gefühle miteinander und sprachen sich gegenseitig Mut und Zuversicht im Hinblick auf das Schicksal »unserer Jungs« zu. Kelsey sagte später, sie habe durch diese Briefe jede einzelne der Adressatinnen liebgewonnen.
»Dieses Jahr, in dem wir ständig auf eine Nachricht von ihnen gewartet haben, war natürlich ein fürchterlich langes Jahr«, schrieb in jenem Juni Delia Robinson, die Schwester von Otto Anderson, eines Schützen der
Green Hornet.
»Wir dürfen einfach die Hoffnung nicht aufgeben.« 17 Auf Mable Dean, die Mutter des Besatzungsmitglieds Leslie Dean, hatte das Warten gravierende gesundheitliche Auswirkungen; sie musste sich zu einer wochenlangen ärztlichen Behandlung nach Wichita begeben. Doch auch sie gab nicht auf. An Louise schrieb sie: »Wir hatten ja gewiss alle angenommen, dass wir etwas über ihr weiteres Schicksal erfahren würden, bevor ein Jahr vorüber war. So aber hat es doch nun ganz den Anschein, als seien sie
nicht sicher
, dass die Besatzung umgekommen ist, sonst hätten sie uns doch schon lange benachrichtigt. Ich glaube also, wir dürfen immer noch hoffen, dass sie irgendwo am Leben sind.« 18
Mable Dean schrieb diese Zeilen am 27. Juni 1944. An eben diesem Tag, exakt 13 Monate nach dem Absturz der
Green Hornet
, wurden im Kriegsministerium Schreiben an die Familien der Besatzungsmitglieder aufgesetzt und abgeschickt. Als Louise Zamperini den Brief an ihre Familie entgegennahm und öffnete, brach sie in Tränen aus. Das Militär hatte Louie und alle anderen Besatzungsmitglieder tatsächlich für tot erklärt. 19
Kelsey Phillips glaubte nicht an diese Erklärung. Sie wusste oder ahnte, dass der
La Porte Herald-Argus
, die Zeitung ihrer früheren Heimatstadt, die Nachricht veröffentlichen würde. Sie setzte sich mit der Redaktion in Verbindung und bat darum, keine Todesanzeige zu bringen; ihr Sohn sei am Leben. Die Verleger respektierten ihren Wunsch. Russell Allen Phillips war zwar offiziell für tot erklärt worden, doch es erschien keine Todesanzeige.
Bei den Zamperinis war die Stimmung nicht anders als bei der Familie Phillips. Als der anfängliche Schock über die Benachrichtigung verklungen war, war allen klar, dass sich an der Situation im Grunde nichts verändert hatte. Der Brief war bürokratische Routine, eine Formalität, die nach dem Ablauf von 13 Monaten für sämtliche Vermisstenfälle erfüllt wurde. Louies offizielles Todesdatum lautete auf den 28. Mai 1944, also auf das Datum genau ein Jahr und einen Tag nachdem sein Flugzeug verschwunden war. Die Nachricht war lediglich ein Stück Papier. »Keiner von uns glaubte es. |256| Keiner von uns«, sagte Sylvia später. »Nicht eine Sekunde. Und auch nicht unbewusst.« 20
Die Zamperinis spürten in ihrem Herzen nach wie vor dieses anhaltende leise Echo von Louie, das Gefühl, dass er irgendwo auf der Welt noch existierte. Solange dieses Gefühl nicht verschwand, würden sie an ihrem Glauben festhalten, dass er lebte.
Während gemeinsamer Mahlzeiten fingen Pete und sein Vater an, Pläne für die Suche nach Louie zu schmieden. 21 Wenn der Krieg vorüber war, wollten sie ein Schiff mieten, darauf von Insel zu Insel segeln, und nicht einen Tag eher aufhören, als bis sie ihn gefunden hatten.
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B-29
A n einem der letzten Oktobertage des Jahres 1944 schob Louie eine Schubkarre über die Brücke, die vom Lager ins Dorf Omori führte, und weiter nach Tokio hinein. 1 Mit ihm ging ein zweiter Gefangener sowie ein Wachsoldat; sie hatten den Auftrag, Fleisch für die Rationen der Lagerinsassen zu holen. Louie war zwar bereits seit 13 Monaten in Japan, doch dies war das erste Mal, dass er sich ohne Augenbinde in die Welt außerhalb der Lager begab und die Gesellschaft, in deren Gefangenschaft er sich befand, mit eigenen Augen wahrnahm.
Tokio war ausgeblutet. 2 Nirgends waren junge Männer zu
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