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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Hillenbrand
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froh über die vollständige Entlastung und Befreiung von sämtlichen Schuldvorwürfen.« 27
     
    Watanabe heiratete und bekam zwei Kinder. Er eröffnete in Tokio eine offenbar sehr einträgliche Versicherungsagentur. Er lebte in einem angeblich |453| 1,5 Millionen Dollar teuren Luxusapartment und hatte ein Ferienhaus an der australischen Goldküste. 28
    Fast alle, die wussten, welche Verbrechen er begangen hatte, waren überzeugt, dass er nicht mehr lebte. Watanabe besuchte nach eigenen Angaben mehrmals die USA, traf allerdings nicht mit ehemaligen Kriegsgefangenen zusammen. Dann besuchte Anfang der 1980er Jahre ein amerikanischer Offizier Japan, und ihm kam zu Ohren, dass der Bird noch lebte. 1991 erfuhr Bob Martindale, dass einem japanischen Veteranen bei einer Sportveranstaltung ein Mann aufgefallen war, von dem er annahm, es sei Watanabe. 29 Kaum einer von den anderen ehemaligen Gefangenen erfuhr davon. Louie war von diesen Gerüchten nichts zu Ohren gekommen, er war überzeugt, dass der Bird schon vor Jahrzehnten Selbstmord begangen hatte.
    Im Sommer 1995, 50 Jahre nach seiner Flucht von Naoetsu, war Watanabe 77 Jahre alt. Sein Haar war ergraut; seine hoffärtige Körperhaltung war merklich in sich zusammengesunken. Es hatte ganz den Anschein, als würde er sich vor seinem Tod nicht mehr öffentlich zu seiner Vergangenheit äußern. Allerdings war er in diesem Jahr immerhin bereit zuzugeben, dass er Menschen misshandelt hatte. Womöglich fühlte er sich ja wirklich schuldig. Vielleicht erwachte in ihm jetzt, kurz bevor er starb, das beunruhigende Gefühl, man werde ihn als einen Unmenschen in Erinnerung behalten, und dieser Vorstellung wollte er vorbeugen. Vielleicht trieb ihn aber auch die gleiche Selbstgefälligkeit an, die schon zu Kriegszeiten so bezeichnend für ihn gewesen war, und er hoffte, seine abscheuliche Geschichte und seine Opfer benutzen zu können, um Aufmerksamkeit zu erregen, womöglich sogar Bewunderung für seine öffentlich geäußerte Zerknirschung zu ernten. In jenem Sommer erklärte sich Watanabe jedenfalls, als der Reporter Peter Hadfield von der
London Daily Mail
sich bei ihm meldete, zu einem Gespräch bereit.
    Da saß er in seinem Apartment, die grobschlächtige, prankenartige Hand um ein mit Wein gefülltes Kristallglas gelegt, und äußerte sich endlich zu den Kriegsgefangenen.
    »Ich kann ihre Verbitterung verstehen, und wahrscheinlich wollen sie wissen, warum ich so streng war«, sagte er. »Ich empfinde heute den Wunsch, mich zu entschuldigen. Von ganzem Herzen zu entschuldigen … Ich war streng. Sehr streng.«
    Er machte eine Faust und schwenkte sie gegen sein Kinn.
    »Wenn die früheren Gefangenen es wünschen, würde ich ihnen anbieten, herzukommen und mich zu schlagen, so richtig zuzuschlagen.«
    Er behauptete, er habe lediglich seine bloßen Hände benutzt, um die Gefangenen |454| zu bestrafen – eine Behauptung, die die Männer, die getreten, mit Kendo-Stock und Baseballschläger verprügelt und mit seinem Gürtel ins Gesicht gepeitscht worden waren, wohl mit einem gewissen Befremden vernommen hätten. Er habe nur versucht, den Kriegsgefangenen militärische Disziplin beizubringen, und er versicherte, dass er ausschließlich Befehle ausgeführt habe. »Wenn man mich während des Krieges besser angeleitet hätte, dann wäre ich wohl freundlicher, weniger abweisend gewesen«, so seine Worte. »Aber man hatte mir gesagt, dass die Kriegsgefangenen sich ergeben hätten – ein schmachvolles Verhalten. Ich wusste nichts von der Genfer Konvention. Ich fragte meinen Kommandanten, was das sei, und er sagte: ›Das hier ist nicht Genf, das ist Japan.‹«
    Und er fuhr fort: »In mir waren zwei Männer. Der eine befolgte einfach die militärischen Anweisungen, der andere war menschlicher. Manchmal spürte ich, dass ich ein gutes Herz habe, aber das damalige Japan hatte ein schlechtes Herz. In normalen Zeiten hätte ich niemals solche Dinge getan.«
    Schließlich meinte er noch, der Krieg sei ein Verbrechen gegen die Menschheit. »Ich bin froh, dass unser Premierminister sich für den Krieg entschuldigt hat, und ich kann nicht verstehen, warum sich nicht die Regierung als Ganze entschuldigt. Wir hatten ein schlechtes Kabinett.«
    Nach dem Interview spürte ein Reporter der
Daily Mail
Tom Wade auf und teilte ihm mit, dass Watanabe um Vergebung gebeten habe. »Ich nehme seine Entschuldigung an und wünsche ihm noch ein paar zufriedene Jahre vor seinem Tod«, sagte Wade. »Es hat

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