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Unbeugsam

Unbeugsam

Titel: Unbeugsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Hillenbrand
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Leise begann er von seinem Leben an Petes Seite zu erzählen, er folgte den gemeinsamen Wegen zurück bis zu der Lungenentzündung im Jahr 1919, die der Grund für den Umzug der Familie nach Kalifornien gewesen war. Die beiden waren nun sehr alt, trotzdem war da immer noch dasselbe Gefühl von Verbundenheit wie damals, als sie als Jungen nebeneinander auf ihrem Bett gelegen und auf den Zeppelin gewartet hatten.
    Louie sprach davon, was für ein Rabauke er gewesen war und wieviel Pete getan hatte, um ihn zu retten. Er erzählte von all den fantastischen Ergebnissen, die Petes Engagement nach sich gezogen hatte, und von der großen Befriedigung, die ihr Leben und ihre selbstlose Arbeit mit Kindern ihm selbst und Pete bereitet hatten. Alle diese Kinder, so Louie, »sind ein Teil von dir, Pete«.
    Petes Augen öffneten sich und ruhten mit plötzlicher Klarheit, zum letzten Mal, auf dem Gesicht seines kleinen Bruders. Sprechen konnte er nicht mehr, aber er strahlte. 14
     
    Im Herbst 1996 läutete in einem Büro der First Presbyterian Church of Hollywood ein Telefon. Louie, dessen 80. Geburtstag unmittelbar bevorstand, nahm den Hörer auf.
    Es meldete sich ein gewisser Draggan Mihailovich, Regisseur des CBS-Fernsehens. Die Olympischen Winterspiele 1998 waren an Nagano vergeben worden, und Louie hatte sich bereit erklärt, das olympische Feuer durch Naoetsu zu tragen. Mihailovich arbeitete an einer Dokumentation über Louie, die während der Olympischen Spiele ausgestrahlt werden sollte, und war nach Japan gereist, um die Sendung vorzubereiten. Bei einer Unterredung mit einem Japaner machte er eine unglaubliche Entdeckung.
     
    Mihailovich fragte Louie, ob er gut saß. Louie bejahte. Mihailovich meinte, es wäre wohl ratsam, wenn er sich auch noch an seinem Stuhl festhielte.
    »Der Bird lebt.«
    Trotz der Vorwarnung hätte es Louie fast umgehauen. 15
    |450| Mitten in der Nacht war der Tote im Jahr 1952 aus der Dunkelheit aufgetaucht. 16 Fast sieben Jahre war er verschwunden gewesen. Watanabe kam mit dem Zug in Kobe an, durchquerte die Stadt und blieb vor einem Haus stehen, durch dessen Vorgarten ein mit Steinen belegter Weg führte. Vor seinem Verschwinden hatte seine Mutter jedes Jahr eine Zeitlang hier gewohnt, doch Watanabe war so lange weg gewesen, dass er nicht wusste, ob sie immer noch hierher kam. Er ging vor dem Haus auf und ab und suchte nach Zeichen ihrer Anwesenheit. Unter der Laterne am Eingang sah er ihren Namen.
    Watanabe war während der ganzen Zeit, als er allgemein für tot gehalten worden war, in der Provinz untergetaucht. Den letzten Sommer hatte er damit zugebracht, mit einem an ein Fahrrad angehängten Eiswagen durch die Dörfer zu fahren und Eis zu verkaufen, und er beneidete die Kinder, die unbeschwert um seinen Wagen herum spielten. Als der Sommer vorüber war, hatte er sich wieder als Landarbeiter verdingt und auf Reisfeldern geschuftet. Dann eines Tages im März 1952 erregte ein Zeitungsartikel seine Aufmerksamkeit. Der Haftbefehl für mutmaßliche Kriegsverbrecher war aufgehoben worden. Auch sein Name wurde in diesem Zusammenhang genannt.
    Die Aufhebung des Haftbefehls war Folge eines historischen Umschwungs, mit dem keiner gerechnet hatte. Unmittelbar nach dem Krieg ging ein Aufschrei der Empörung um die Welt, es herrschte allgemeine Einigkeit, dass die Japaner, die sich an den Kriegsgefangenen vergangen hatten, bestraft werden müssten, und es begannen die Kriegsverbrecherprozesse. Bald jedoch änderte sich die politische Landschaft. Während die amerikanischen Besatzer sich dafür einsetzten, Japan den Übergang in Demokratie und Unabhängigkeit zu ermöglichen, begann der Kalte Krieg. Nun, da der Kommunismus über dem Fernen Osten dräute, zeichnete es sich für die Regierung der USA ab, dass eine Allianz mit Japan entscheidend für die innere Sicherheit Amerikas werden könnte. Heikel war die Frage der Kriegsverbrechen; die Prozesse waren enorm unpopulär in Japan, und es gab Bemühungen von Seiten der Japaner, die Freilassung sämtlicher verurteilter Kriegsverbrecher zu erwirken. 17 Irgendetwas musste wohl nun, da plötzlich das Streben nach Gerechtigkeit für die Kriegsgefangenen mit der Sicherheit Amerikas in Konflikt geriet, grundsätzlich neu überdacht werden.
    Am 24. Dezember 1948, während die Präsenz der Besatzer allmählich immer weiter reduziert wurde, verkündete General MacArthur eine »Weihnachtsamnestie« für die letzten 17 Männer, für die noch ein Prozess wegen

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