Und am Ende siegt die Liebe
peinliche Situation nachdenken konnte, mit der er sie konfrontiert hatte, öffnete sich die Tür und eine große, hagere Frau trat herein.
»Ich habe angeklopft«, sagte sie, »aber ich bekam keine Antwort.« Sie sah Regan neugierig an. »Falls es Ihnen jetzt nicht passen sollte, kann ich ja später wiederkommen. Nur sagte Travis eben zu mir, sie hätten so viele Sachen für mich zum Nähen, daß ich kaum damit fertig würde bis zum Ende der Reise. Aber da ist noch eine Frau im Zwischendeck, die mir beim Nähen helfen könnte. Ich weiß allerdings nicht, ob sie sticken und plissieren kann; aber die Nahtstiche beherrscht sie.«
Die Frau holte Luft und blickte Regan dann besorgt an. »Fehlt Ihnen etwas, Mrs. Stanford? Sie werden doch nicht schon seekrank! Oder ist es nur das Heimweh?«
»Wie bitte?« gab Regan verwirrt zurück. »Wie haben Sie mich eben genannt?«
Die Frau lachte und setzte sich dann einfach zu Regan auf die Bank. Sie hatte schöne Augen, einen vollen, hübschen Mund und darüber eine lange, scharfe Nase. »Sie haben sich wohl noch gar nicht richtig daran gewöhnt, verheiratet zu sein, wie? Travis scheint es auch so zu gehen, denn als ich ihn vorhin fragte, wie lange er denn schon unter der Haube sei, machte er ein Gesicht, als wäre das ein Staatsgeheimnis. Ich kenne ihn ja. Der braucht Jahre, ehe er zugibt, daß er seine Freiheit aufgegeben hat.« Sie blickte sich neugierig in der Kabine um, ohne einen Moment ihren Redefluß zu unterbrechen. »Aber wenn Sie mich fragen, profitieren nur die Männer von der Ehe. Wenn die sich eine Frau nehmen, haben sie eine Sklavin umsonst. Also«, wechselte sie abrupt das Thema, »wo haben Sie jetzt die Sachen, die ich nähen soll? Am besten fange ich gleich damit an.«
So viele neue Eindrücke waren in den letzten Tagen auf Regan eingestürmt, daß sie an die Bestellung ihrer neuen Garderobe gar nicht mehr gedacht hatte. Die Frau schien ihre Verwirrung zu verstehen, denn sie drückte ihr die Hand und sagte: »So jung verheiratet, dazu noch mit einem Mann wie Travis — das kann einen schon mitnehmen. Zudem will er Sie in ein neues Land verpflanzen, das Sie gar nicht kennen. So viel Aufregung auf einmal kann man ja gar nicht verkraften, schätze ich. Vielleicht sollte ich doch erst später wiederkommen.«
Jung verheiratet? dachte Regan. Sie galt also hier auf dem Schiff bereits als seine Frau. Nun, immer noch besser als die Wahrheit!
Die Näherin war schon wieder bei der Tür, ehe sich Regan von dieser Neuigkeit erholt hatte. »Warten Sie doch einen Moment!« rief sie. »Ich weiß ja gar nicht, wo die Sachen sind, von denen Sie sprechen. Doch — Travis sagte, sie wären in den Truhen.«
Da kam die Frau zurück und streckte ihr mit einem breiten Grinsen die Hand hin. »Ich bin Sarah Trumbull. Sagen Sie einfach Sarah zu mir. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mrs. Stanford.«
»Ebenfalls«, sagte Regan und seufzte. Ihr gefiel diese Frau, obwohl sie mit der englischen Sprache reichlich salopp umging.
Im nächsten Moment kniete Sarah schon vor der Truhe gleich neben der Tür und öffnete deren Deckel. Vielleicht war ihre Sprachlosigkeit ein Ausdruck ihrer Hochachtung vor der exquisiten Ware, als sie diese Pracht aus Seide und feingewebten Wollstoffen betrachtete. »Das muß Travis ja ein Vermögen gekostet haben«, brachte sie endlich im Flüsterton heraus.
Regan bekam schreckliche Gewissensbisse, als ihr nun einfiel, daß sie aus reiner Böswilligkeit viel mehr Kleider bestellt hatte, als sie jemals tragen konnte — nur um Travis in Verlegenheit zu bringen, weil er die Rechnung unmöglich bezahlen konnte. Nun — er hatte sie offensichtlich bezahlt, und Regan fragte sich, wo er das Geld dafür aufgetrieben hatte. Wahrscheinlich hatte er eine Hypothek auf sein Haus aufnehmen müssen, oder er hatte alles, was er besaß, vorher versilbert.
»Sie sehen schon wieder grün um die Nase aus, Mrs. Stanford. Sind Sie sicher, daß Ihnen das Schaukeln des Schiffes bekommt?«
»Es bekommt mir. Wirklich!«
»Naja«, sagte Sarah und blickte wieder in die Truhe. »Travis hat nicht übertrieben: das ist wirklich eine Arbeit für Monate. Glauben Sie, die andere Truhe ist auch so voll wie diese?«
Regan blickte auf die andere Truhe und sagte mit kleinlauter Stimme: »Ich fürchte, ja.«
»Sie fürchten!« wiederholte Sarah lachend und nahm eine lederne Tasche heraus, die neben den Stoffen lag. Sie kippte die Tasche über ihren Schoß aus; eine Reihe von Zeichenblättern
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