Und dann kam Ute (German Edition)
Unterhose so eng sitzen? Können Sie mir mal das Hemd aufknöpfen? Ich hab so kalte Finger! Würden Sie mich bitte nach Hause fahren, ich glaub, ich muss sofort ins Bett … und Sie sind ja auch schon ganz blass!»
Nix ging, mein Begehren wurde nicht erhört. Aber was ich jetzt hier auf der Party erblickte, war nicht Herrenoberbekleidung, sondern definitiv Champions League. Internationales Parkett, edelblütiger Hormonadel, auf der Skala von eins bis zehn eine satte Zwölf! Ich war augenblicklich derartig scharf – mein Betriebssystem bekam für einige Sekunden weiche Knie, und ich verfluchte meine angeborene Schüchternheit.
Als ich das Blut durch reine Willenskraft wieder nach oben zurückgepumpt und meinem Großhirn wieder die Befehlsgewalt erteilt hatte, schwor ich mir, es diesmal besser zu machen. Bei einem so edlen Geschöpf konnte man auf keinen Fall mit einem doppelten Hornbacher einsteigen. Hier waren eindeutig die Präzision und handwerkliche Finesse eines Schweizer Uhrmachermeisters gefragt, Stilsicherheit gepaart mit der Coolness eines Mannes von Welt. Hier galt es, mit einem sowohl gerührten als auch geschüttelten Wodka Martini in der Hand eine Nuklearbombe kontrolliert zur Explosion zu bringen. In solch prekären Momenten zählt alles – jeder Wimpernschlag, jede Silbe, auch die Körpersprache. Die kleinste Handbewegung entscheidet über Leben und Tod, über die multiple Ausschüttung aller Endorphine des begehrten Zielobjekts.
Ich bewegte mich also mit der zeitlosen Eleganz eines gelangweilten sibirischen Königstigers durch Utes Wohnzimmer, entsorgte beiläufig meine volle Flasche Bier im Zierfischaquarium und nahm zwei gefüllte Prosecco-Gläser vom Sideboard mit auf die Mission «Traumfrau».
«Entschuldigung, kannst du mal bitte auf meine Uhr gucken, sonst verplempere ich hier noch deinen kostbaren Schaumwein!»
Ihr spontanes Lachen brachte mich fast um den Verstand. Falls ihr Plan für den heutigen Abend lautete, einen hochattraktiven Mann in den unkontrollierten Wahnsinn zu treiben, konnte sie jetzt aufhören. Makellos weiße Zähne, wie von Dr. Best gemalt, dazu ein vorwitziges Zungenpiercing. Schwarzes Haar, das wie Klavierlack glänzend über ihre Schultern floss. Das verblichene «Fruit of the Loom»-Shirt, das mindestens eineinhalb Nummern zu eng war und charmant ihre neckische Babyspeckrolle umspielte. Der BH war zum Platzen gefüllt mit ihren reifen Pfirsichen. Wie zufällig berührte sie mit ihren scharfen, rot lackierten und strassbeklebten Nägeln meine Hand, als sie mir ungeduldig das Prosecco-Glas aus der Hand nahm.
«Parlez-vouz français, mon cher?», hauchte mir ihre eindeutig französische Stimme entgegen. Auweia! Französin! Ich musste meinen genialen Plan im Bruchteil einer Sekunde aktualisieren. Wie gut, dass meine Mutter immer Mireille Matthieu gehört hatte, wenn auch nur auf Deutsch. Also flötete ich mit spitzbübischem Grinsen: «Oh Pardon, sind Sie der Spatz von Avignon?»
Sie wieherte wie ein Pferd und schüttete mir die Hälfte ihres Proseccos über die Hose. «Oh, là, là», sagte sie scheinheilig, «jetz’ iest die schöne ’ose nass! Was machen wier denn da? Soll isch sie trocken pusten?»
Klick-klack! Zwei lustgesteuerte Betriebssysteme verlinkten sich miteinander. Gierig, schamlos und unauffällig auffällig zog sie mich an meinem AC/DC-Gürtel in das Zimmer nebenan. Rums! fiel die Tür zu, und ihre Hand glitt ins Feingerippte. Akribisch genau und äußerst detailverliebt zelebrierte sie dort ein Billardturnier auf engstem Raum. Und zwar auf internationalem Niveau. Eine Welle der Lust überflutete meine Synapsen, während sie die schwarze Acht mit meinem Queue über die Bande versenkte. Sie keuchte vor Verlangen … sie stammelte Worte ohne Zusammenhang … der Kessel stand kurz vor der Explosion … sämtliche Torpedos waren abschussbereit im Schacht …
Und dann kam Ute.
Entsetzt und beinahe sogar etwas feindselig starrte sie uns an: «Was gibt das denn hier?»
«Ach Ute, wie gut, dass du kommst! Gerade noch rechtzeitig! Hier hätte ja Gott weiß was passieren können!»
«Sag mal, tickst du noch ganz richtig? Hier im Kinderzimmer mit meiner Freundin rumzufummeln?»
«Na, meinst du etwa, mir hätte das Spaß gemacht? Gut, dass ich einen kühlen Kopf bewahrt habe. Das hätte auch ganz leicht aus dem Ruder laufen können! Jetzt aber alle raus hier. Etwas mehr Rücksicht täte uns allen ganz gut. Komm, Ute, auf den Schreck trinken wir erst
Weitere Kostenlose Bücher