Und dann kam Ute (German Edition)
die sonore Stimme, die schon Millionen rastloser Seelen in Deutschland eine kulturelle Identität gegeben hat. «HECK, wer stört?», lachte er in den Hörer.
Ich antwortete kryptisch: «Es ist Mitternacht, John!» – ein alter Scherz zwischen uns, mit dem wir jedes unserer Telefonate begannen. «Dieter, kannst du mir ein Zimmer im Chevalier klarmachen? Ich bin in drei Stunden in St. Moritz. Außerdem brauch ich noch die Adresse von dem Promibunker.»
«Atze, mein Junge, hast du noch alle Datteln am Baum? Wie soll das klappen? Aber warte mal … Ich melde mich gleich noch mal.»
Anscheinend hatte Heck, der Teufelskerl, wie immer noch ein Ass im Ärmel. Drei Minuten später klingelte mein Handy: «Zimmer 535, Stichwort ‹Seilbahn›!»
Ich war begeistert: «Dieter, du bist ein Genie! Wie hast du das bloß geschafft?»
«Junge, das ist schnell erzählt. Ich hatte beim Hoteldirektor Monty Montreux noch einen gut. Auf der Hitparadentour 1976 wollte Monty unbedingt mit Roy Black in die Kiste, weil er sich in dessen scharfes ‹S› verknallt hatte. Aber so locker die Zeiten auch waren, Roy war ein Mann mit Prinzipien. Also hab ich ihm die Zimmernummer von Cindy und Bert gegeben. Aber irgendwie hatte Monty einen Dreher in die Nummer gebracht und ist bei Ivan und Divan, einem russischen Travestie-Duo, gelandet. Was dann passiert ist, ist bis heute unklar. Es gibt nur Vermutungen. Aber so viel ist sicher: Eines der Hausmädchen, das am nächsten Tag die Kissen in der Suite aufschütteln wollte, ist danach völlig verstört in ein Kloster gegangen und hat bis heute kein Wort mehr gesprochen. Monty will auch nicht auf diese Geschichte angesprochen werden. Tja … und damit das auch so bleibt, hast du jetzt dein Doppelzimmer zur Einzelnutzung!»
«Ich stehe tief in deiner Schuld. Wie kann ich das wiedergutmachen, Dieter?»
«Lass stecken, ich hab doch alles. Aber es wäre zauberhaft, wenn du Hilde eine Schachtel von diesen leckeren Erfrischungsstäbchen aus der Minibar mitbringen könntest.»
Ich stammelte: «Klar doch, Dieter, noch mal vielen, vielen Dank!», aber da hatte er längst aufgelegt. So war er. So ist er. Einer der ganz Großen.
Majestätisch knirschten meine 335er Michelin-Pneus über den gepflegten Kies der Auffahrt zum «Grande Grand Hotel Le Chevalier du Chef», nur einen Steinwurf von St. Moritz entfernt, dieser kosmopolitischen Alpenmetropole mit dem prickelnden Champagnerklima. Ich bezog mein Zimmer, das den barocken Charme eines Edelbordells zur Zarenzeit versprühte. Ich konnte mit bildlich vorstellen, wie Katharina die Große hier ihrem Lieblingsrappen «Alabaster» die mächtigen Gonaden vertäfelte und ganze Heerscharen von angeekelten Lakaien damit beschäftigt waren, frisches Stroh herbeizuschaffen. Es war förmlich noch zu riechen. Ich legte mich nur für ein paar Minuten auf das üppige Bett und glitt augenblicklich ins Reich der Träume. Am nächsten Morgen erwachte ich voller Tatendrang pünktlich um neun Uhr zu meiner gewohnten Frühstückszeit.
Im «Chevi», wie es liebevoll von seinen Gästen genannt wird, wird das Frühstück als solches nicht auf die leichte Schulter genommen: Mineralwasser aus Silberkännchen, Honig aus geschliffenen Bernsteinkaraffen, Rehrücken-Carpaccio auf Gletschereis. Persischen Kaviar bietet man hier der Einfachheit halber direkt im Zehn-Kilo-Mayonnaiseeimer an, und den köstlichen Espresso gibt es auch als Lutschbonbon geschnitten. Hundert Sorten Brot – aber nirgends auch nur ein stinknormales Brötchen.
«Grüezi wohl, Monsieur Schröder! Was darf ich Ihnen bringen?» – «Eine gute Tasse Filterkaffee und die Lottozahlen für Samstag bitte.»
Eine positive Schweizer Eigenschaft ist die völlige Spaßbefreitheit. Jeder noch so nett gemeinte Spruch wird komplett wörtlich genommen.
«Es tut mir leid, ich kann Ihnen nur den Kaffee servieren, die Lottozahlen kriegen wir leider erst nach der Ziehung geliefert. Darf es sonst noch was sein?»
Nach den obligatorischen rohen Eiern mit Milch ging ich nicht erst über Los, sondern trabte direkt Richtung Wellness-Oase. Um Zeit zu sparen, hatte ich praktischerweise direkt in Bademantel und Schlangenlederstiefeln gefrühstückt. Am Empfangstresen der Beautyfarm wurde ich sofort von einer schmucken Masseuse angezwitschert. «Monsieur Schröder, für welches Arrangement haben Sie sich entschieden?»
«Prinzessin Adilette, sag du es mir!»
«Ich empfehle zunächst eine Stunde Fangowanne, dann eine
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