Und dann kam Ute (German Edition)
Hacken noch knatschenge Lederhosen, sondern tagein, tagaus nur «Chucks» und manchmal sogar die unvermeidliche Schwangerschafts-Jeanslatzhose. Sie hatte keine rot lackierten Nägel und war – wenn überhaupt – nur sehr dezent geschminkt. Statt «Auto Bild» und «Kicker» steckte in ihrem Briefkasten morgens die «taz» und einmal wöchentlich das Vollwertmagazin «Schrot & Korn». Im Wohnzimmer war ich sogar mal auf einen Stapel «Psychologie heute» gestoßen. Das alleine hätte ausreichen müssen, um sämtliche Fluchtreflexe in mir auszulösen. Bei Ute fand ich all das aber eher interessant und faszinierend. Sie war unglaublich schnell in der Birne, unbestechlich und jederzeit bereit, ihre Ansichten vehement und durchaus zickig zu vertreten. Aber da waren auch diese Grundehrlichkeit und ihre unglaublich sanftmütige Herzenswärme. Während ich also am Fenster stand und über meine neue Nachbarin nachsann, röhrte plötzlich draußen auf der Straße der Acht-Zylinder-Motor eines Aston Martin. Eines der wenigen Fahrzeuge, wo selbst ich als alter Porsche-Adel sagen muss: Das hat Stil und Klasse. Kann man bringen. Nicht so vulgär wie ein Lamborghini oder so lächerlich wie ein Ferrari. Da war ich aber echt mal gespannt, wer aus so einer heißen Rappelkiste aussteigen würde.
Die Tür flog dynamisch und schwungvoll auf. Ein Paar gepflegte Chelsea-Boots betraten das frischgefegte Trottoir vor unserem Haustor. In den Schuhen steckte eine recht sympathische Erscheinung: ein junger Typ, so wie ich Anfang dreißig, Ende vierzig. Er strich sich den gutgeschnittenen Anzug glatt und schaute durch die verspiegelten Gläser seiner Ray-Ban-Aviator-Sonnenbrille zu unserer Haustür. Wahrscheinlich suchte er die nicht vorhandene Hausnummer 10. Die hatte ich Helga bei ihrem Auszug vor einem Jahr unter Tränen als Andenken überreicht.
Der ganze Typ und sein Haarschnitt erinnerten mich entfernt an den langhaarigen Brad Pitt aus der Chanel-No.-5-Reklame. Gibt schlimmere Ähnlichkeiten. Man muss auch gönnen können.
Während ich mit meinem iPhone die genaue PS-Zahl des englischen Superboliden googelte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich die inzwischen ebenfalls eingetroffene Ute mühsam aus ihrem französischen Rollbriefkasten kugelte. Ein Bild für die Götter! Sie prustete wie Antje, das NDR-Walross, und marschierte direkt auf den Aston Martin zu. Das konnte ja heiter werden: Mister Bond stand auf Utes Stammparkplatz. Für diese Dreistigkeit würde sie ihn ganz sicher in bester «Fräulein Rottenmeier»-Manier kräftig abduschen. Erwartungsvoll stellte ich das Fenster auf Kipp, um nur ja nichts davon zu verpassen.
Was dann geschah, erwischte mich wie ein Tiefschlag von den Klitschkos.
Strahlend fiel Ute in die Arme dieses geschmacklosen Schnösels. Es folgte das ganze miese Programm von vorn bis hinten: Bussi links, Bussi rechts, hochheben, Bauchtatschen, Wangestreicheln. Dabei drangen so lächerliche Wortfetzen an mein Ohr wie: «Toll siehst du aus … steht dir aber … wahnsinnig hübsch … ach mein Utchen … total vermisst … hab dich lieb … sooo gefehlt!»
Diesem schmierigen Provinz-Casanova war anscheinend gar nichts peinlich. Schlimm! Erst parkte er seinen schangeligen englischen Schrotthaufen bräsig vor unserem Haus, beleidigte jede unschuldige Netzhaut mit seinem billigen C&A-Sakko und fummelte dann noch mit seinen Selbstbräunergriffeln an einer wehrlosen Schwangeren herum, ohne seine hirnrissige Scheißpilotenbrille abzunehmen. Was wollte Ute bloß mit so einem abgewrackten, notgeilen Lustgreis? Rolf Eden hätte sich im Grabe umgedreht – wenn er schon tot wäre. Was für ein Arschloch!
Arm in Arm gingen Ute und die buckelige Pottsau ins Haus. Mit einem beherzten Hechtsprung riss ich die Tür auf und dröhnte nach unten durch den Flur: «Uuute, dein Kaffee ist fertig!!!»
Emotionslos rief sie zurück: «Keine Zeit heute, hab Besuch!» – und schon hörte ich, wie ihre Wohnungstür ins Schloss schnappte.
Da stand ich also wie ein begossener Pudel. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so gedemütigt worden. Ich kämpfte mit den Tränen. Vor Wut. Da macht man und tut man. Ich erwarte wirklich kein großes Dankeschön, aber man kann doch wohl mal danke sagen! Ich hatte auch was anderes zu tun, als jeden Tag zum Bäcker zu latschen und blöde Croissants zu besorgen. Und den beknackten Kaffee Hag, von dem ich jetzt sechs Pfund im Schrank stehen hatte, konnte ich dann jetzt ja wohl auch
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