Und dann kusste er mich
überhaupt dazu? Er ist doch stinksauer auf sie.«
Ich wandte den Blick ab. »Ja, das war er.«
Langsam dämmerte es Wren. »Du hast es bereits getan, richtig?«
Mein reumütiges Lächeln verriet mich, und ich wusste es. »Ja.«
»Wann?«
»Heute Nachmittag, bevor ich hierherkam. Entschuldige, dass ich es dir nicht vorher erzählt habe, aber Tom sollte es als Erster erfahren.«
»Ich fass es nicht! Wie hat er reagiert?«
Wie sollte ich das in eine Antwort verpacken? Wütend, verletzt, aufgebracht, ungläubig, still, kalt, emotional, durcheinander … all dies und mehr innerhalb eines halbstündigen Gesprächs. Ich hasste es, ihn damit zu konfrontieren und seinen inneren Kampf zwischen Bit terkeit und Sehnsucht mitansehen zu müssen, denn eigentlich wäre das Caytes Aufgabe gewesen. Nach der ersten Reaktion war Tom sehr still geworden, hatte grübelnd aus dem Wohnzimmerfenster seines Reihenhauses gestarrt, als wäre er in Gedanken meilenweit entfernt. Ich hätte ihn gern umarmt, war mir aber plötzlich unsicher, ob er meine Einmischung als Verrat empfand. Während ich noch nach geeigneten Worten suchte, sagte er plötzlich in gepresstem Tonfall: »Sag mir, warum ich das tun sollte.«
»Ich glaube nicht, dass ich das kann …«
Er hob den Kopf: »Dann verrate mir bitte, warum du eingewilligt hast, mit mir zu reden.«
Ich hoffte inständig, eine schlüssige Erklärung liefern zu können, zumal ich mir selbst über meine Motivation nicht ganz klar war.
»Ich kann nur sagen, dass ich in Cayte etwas wiedererkenne, das ich seit Beginn meiner Suche auch bei mir festgestellt habe. Sicher, sie hat sich mir gegenüber ziemlich schäbig verhalten – und damit auch dich zutiefst verletzt. Ich weiß nicht, ob ich ihr das jemals verzeihen kann. Doch eines weiß ich mit Sicherheit: Sie hat erkannt, was für ein unglaublich toller Mensch du bist. Das ist vielleicht zu wenig und zu spät, doch dies ist ihre letz te Chance, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Wenn ich an ihrer Stelle wäre und jemanden verletzt hätte, den ich liebe, würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihn zurückzubekommen. Und als Erstes würde ich alles versuchen, damit er mich zumindest anhört. Ich kann dir nicht sagen, dass du wieder mit ihr zusammen sein sollst. Das ist einzig und allein eure Entscheidung. Aber ich habe ihr versprochen, mit dir zu reden, und das habe ich hiermit getan. Alles Weitere geht mich nichts an.«
Schweigend musterte er mich eine Weile. »Du bist eine meiner besten Freundinnen«, sagte er schließlich. »Und du bedeutest mir sehr viel. Du bist immer fair gewesen, und ich weiß, du wärst nicht hier, wenn du nicht vorher darüber nachgedacht hättest.« Er rieb sich das Kinn. »Sag ihr, sie soll mich heute Abend anrufen. Aber ich mache keinerlei Versprechungen.«
Wrens Worte brachten mich wieder in die Gegenwart zurück. »Ich halte sie trotzdem für eine feige Schlange, die dich ihre Drecksarbeit erledigen lässt.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber eines muss ich dir lassen, Rom: Du hast mehr Eier in der Hose als ich. Ich wette, sie war überglücklich, als du sie angerufen hast.«
»Es gab viele Tränen und Dankesbekundungen.«
»Hm. Tja, ich hoffe, sie erkennt jetzt, was für ein großherziger Mensch du bist. Sollte es so was wie Karma tatsächlich geben, dann muss PK bereits auf dem Weg zu dir sein.«
»Hoffentlich schafft er es bis heute Abend!«
Spaß beiseite, der Gedanke, meine Handlungen könnten womöglich die Geschehnisse in Bezug auf PK beeinflussen, verlieh mir einen ernormen Hoffnungsschub. Doch egal, wie die zögerliche Annäherung zwischen Tom und Cayte auch enden mochte, ich wusste, ich hatte das Richtige getan. Denn ich war meinem Herzen gefolgt – obwohl mich mein Herz oft auf sehr abschüssige Pfade führte –, und ich war mir selbst treu geblieben.
Plötzlich fielen mir Tante Mags’ Worte wieder ein: »Was auch immer geschieht, du musst stets du selbst bleiben, Romily. Denn am Ende ist das alles, was du hast.«
Der Oktober hielt Einzug mit stürmischen Winden, die durch die Stadt peitschten und etliche alte Bäume entwurzelten. Onkel Dudley rief mich an, um mir mitzuteilen, dass die Hauptstraße für mehrere Stunden blockiert sei, da die Arbeiter eine vierhundert Jahre alte Eiche entfernen müssten, die der Sturm letzte Nacht gefällt habe. Zu guter Letzt hatten dann er und einige andere Kanalbootbesitzer ihre Hilfe angeboten, so dass die Straße bis sechs Uhr abends geräumt
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