Und dann kusste er mich
okay, war nur ein Scherz. Aber er könnte eine Freundin haben oder, noch schlimmer, eine Ehefrau.«
Gereizt entgegnete ich: »Warum hat dann dieser Je mand, der ihn gerufen hat, zugelassen, dass er mich küsst?«
Wren spießte ein großes Stück Schokoladenkuchen auf die Gabel. »Vielleicht wurde er ja deswegen abkommandiert!«
Mit dieser Möglichkeit wollte ich mich gar nicht erst befassen, dennoch versuchte ich mich zu erinnern, ob an seiner linken Hand ein Ring gesteckt hatte. Leider war dieses Detail nicht in meinem Gedächtnis gespeichert. Aber er konnte doch nicht verheiratet sein, oder? Die Art, wie er mich angesehen, wie er mich geküsst hatte – als wäre er endlich der Frau seines Lebens begegnet. Ich hatte mich … ja, wertgeschätzt gefühlt, so seltsam sich das auch anhören mag. Er hatte mir das Gefühl gegeben, ich wäre ein kostbarer Edelstein, den er nie mehr hergeben wollte.
Aber er hatte mich gehen lassen.
Wren schob sich die Locken hinter die Ohren. »Egal, lassen wir das. Erzähl mir lieber von dem Kuss.«
Ich musste nicht einen Moment nachdenken, um die Einzelheiten wiederzugeben, die in meinem Kopf Tag und Nacht als Endlosschleife abliefen: wie geborgen ich mich in seinen Armen gefühlt hatte, wie weich und warm seine Lippen auf meinen gewesen waren, wie der ganze Großstadtlärm abebbte und die Zeit stillzustehen schien, und wie ich alles, was passierte, nicht einen Moment infrage stellte, weil es sich so richtig anfühlte …
»Als wärst du nach Hause gekommen, was?«, beendete Wren meinen Satz mit einem sehnsuchtsvollen Blick.
Ich nickte. »Genau. Und es mag vielleicht abgedro schen klingen, aber ich habe mich weder benutzt noch bil lig gefühlt. Ich habe einfach nur diesen wunderbaren Mo ment mit einem fremden Mann genossen, den mein Herz bereits kannte. Ergibt das für dich irgendeinen Sinn?«
Sie lächelte: »Absolut, Süße. Obwohl ich ihn nach diesem Kuss niemals hätte gehen lassen.«
Niedergeschlagen nippte ich an meinem Cappuccino. »Ja, das war dumm. Ich weiß auch nicht, warum ich ihn nicht nach seiner Telefonnummer gefragt habe. Oder wenigstens nach seinem Namen. Aber irgendwie war ich wie gelähmt – wahrscheinlich in einer Art Schockstarre –, und als ich endlich losrannte, um ihn zu suchen, war er bereits verschwunden. Und jetzt habe ich nur noch die Erinnerung an ihn.«
Aufmunternd tätschelte Wren meine Hand. »Nun ja, ganz so ist es auch nicht.« Sie griff in ihre Manteltasche, zog ein rosa-weiß gestreiftes Papiertütchen hervor und reichte es mir. »Damit du ein kleines Andenken an dein bedeutsames Erlebnis hast.«
Verblüfft öffnete ich die Tüte und wickelte den in gelbes Seidenpapier gewickelten Gegenstand aus. Es war die wunderschöne tränenförmige Christbaumkugel, deren aufgemalte silberne Sternchen im Licht blinkten und blitzten.
»Oh, Wren! Ich danke dir!«
Wren legte den Arm um mich und drückte mich kurz an sich. »Du hast es verdient, Süße. Es soll dich immer daran erinnern, dass es irgendwo in dieser Stadt zumindest einen tollen Typen gibt, der dich schön findet. Und angesichts deiner meergrünen Augen und deines umwerfenden Lächelns wird er damit nicht allein sein.« Ich lachte.
Wren schwärmte schon immer von meiner Augenfarbe, obwohl sie selbst eine der hübschesten Frauen war, die ich kannte. Ihre kakaobraunen Augen und die wilden rotbraunen Locken waren einfach hinreißend, doch Wren sagte immer, sie beneide mich um meine Augen, weil sie »so grün wie das Meer im Sommer« seien.
Wir beide hatten einen sehr unterschiedlichen Stil. Wren war bei der Wahl ihrer Klamotten genauso extravagant wie bei allen anderen Dingen. Sie kombinierte die unmöglichsten Farben miteinander, aber seltsamerweise funktionierte das bei ihr sehr gut. Ich hätte damit wie ein als Hippie verkleideter Idiot ausgesehen, doch bei Wren wirkte es avantgardistisch und eigenwillig. Rein äußerlich waren wir totale Gegensätze, so dass wir uns perfekt ergänzten. Mein schulterlanges Haar hatte im Verlauf der Jahre schon viele Farben gehabt (blond, rot und in der Pubertät sogar schwarz), doch das Dunkelblond, mit dem ich mich inzwischen arrangiert hatte, stand mir am besten, wie ich fand. Während Wren stundenlang im Internet nach flippigen, ausgefallenen Klamotten suchte, bummelte ich lieber durch Boutiquen. Trotzdem mochten wir den Stil der jeweils anderen. Schon komisch, dass man nie mit dem Aussehen zufrieden war, das man mitbekommen hatte.
»Du bist gut für
Weitere Kostenlose Bücher