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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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seinem Bekanntenkreis geschätzt wurde. So erzählte er Frau Freund, dass sein Sohn Daniel, der als Zehnjähriger ein Stipendium für eine äußerst renommierte Schule und danach immer das beste Zeugnis in seiner Klasse erhalten hatte, nach genau fünfzehn Monaten und zwei Tagen sein Medizinstudium abgebrochen hatte und nun eine militärische Laufbahn anpeilte. »Haben Sie schon mal von einem jüdischen General gehört?«, fragte er klagend und hob, wie der alttestamentarische Hiob in größter Not, seine Hände himmelwärts.
    »Die Generale in Israel werden doch nicht alle katholisch sein, Mister Bronstein.«
    »Von wegen Israel. Der Junge ist ein englischer Patriot. Der hat schon seinem Teddy >God Save the Queen< vorgesungen.«
    Er griff unter dem geblümten Tischtuch nach Marthas Hand. Einen Augenblick nur, aber so fest, dass ihr Ehering sie schmerzte. »Sie gefallen mir«, sagte er, so ungeniert, als wäre er siebzehn und verliebt in das hübsche Mädchen mit den schokoladenbraunen Ringellocken, das ihm 1935 noch einmal in der Offenbacher Marktstraße begegnet war und das seinen erfreuten Gruß mit »Hau ab, du Drecksjud« beantwortet hatte. Einen Moment fühlte er einen scharfen Stich zwischen den Rippen. Die Bilder wirbelten im Kreis herum, und er musste kurz überlegen, weshalb Martha soeben gesagt hatte: »So etwas kann vorkommen.« Er löste das Rätsel gerade noch rechtzeitig; die Gespenster vertrieb er mit der Routine, die ihn in Sachen Vergangenheit sehr zuverlässig durch die Jahre geleitet hatte. »Aber«, erzählte er munter, »ich kann den Sohn noch mit der Tochter überbieten. In Rebekka haben die selige Mrs Bronstein und ich mindestens so große Hoffnungen gesetzt wie in unseren Dani. Sie ist bildhübsch und klug und bezaubert alle Leute mit ihrem Charme. Schon in der vierten Klasse hat sie immer einen Rattenschwanz von Bewunderern um sich gescharrt. Auch der Sohn von Abraham Silverstone hat sich für sie interessiert. Natürlich kennen Sie den Sohn von Silverstone und Partner. Die besten Wollstoffe seit der Erfindung des Schafs. Steinreiche Leute sind das und hoch vornehm, die sich ihr jüdisches Herz bewahrt haben. Der Sohn soll heute schon so viel Geld haben, dass er sich leisten kann, den Flohwalzer von lebendigen Flöhen spielen zu lassen. Und in Paris hat er schon in dem Lokal gegessen, das dafür berühmt geworden ist, dass der Koch die Ente durch die Fleischmaschine dreht. Na ja, die Franzosen sind halt so. Mein Fall waren sie nie. Und trotzdem habe ich im Sommer vor zwei Jahren Becky mit ihrer Gruppe vom Religionsunterricht nach Paris gelassen. Und wie hat sie mir das gedankt? Nur weil der junge Silverstone nicht so schmuck ist wie Prinz Philipp und lieber hinter seinem Schreibtisch sitzt als auf einem meschuggenen Polopferd, lässt sie ihn nach einem halben Jahr sitzen und heiratet heraus.«
    Der besorgte Vater hatte in seinem eifernden Erzählfluss eine von Martha noch nie gehörte Redensart wörtlich aus dem Englischen übernommen. Da zum damaligen Zeitpunkt in der Familie Procter eine Ehe zwischen einer jüdischen Frau und einem nichtjüdischen Mann noch nicht einmal im Ansatz zur Diskussion stand, brauchte Martha umfassende weitere Erklärungen. Erst nach zehn Minuten, die noch mehr Vorstellungsvermögen als Konzentration erforderten, war sie in der Lage, Samy ihr Mitgefühl auszudrücken. Es stellte sich heraus, dass Tochter Rebekka einen nichtjüdischen Graphiker ohne feste Anstellung geheiratet hatte und nun hochschwanger war. Im vergangenen Jahr hatte sie noch nicht einmal gewusst, wann Rosch Hashanah war, und ausgerechnet am ersten Tag des neuen jüdischen Jahrs ihrem Vater ein Foto von sich samt Mann und Hund geschickt, aufgenommen vor der Kathedrale von Canterbury. »Fehlt nur noch«, malte er sich düster aus, »dass sie zu meinem siebzigsten Geburtstag mit Mann und Köter hier auftaucht und ein Kreuz um den Hals trägt. Und natürlich wird das Kind, wenn’s ein Junge wird, nicht beschnitten sein.«
    »Jetzt übertreiben Sie, Mister Bronstein!«
    »Das ist schon passiert, glauben Sie mir. Mehr als einmal. Beispielsweise bei dem armen Greencage. Der hat in einem einzigen Jahr seine Frau verloren und seine Tochter an einen katholischen Lehrer abtreten müssen, der von dem unbedarften Mädel verlangt hat, dass es sich noch vor der Hochzeit taufen lässt. Und eingebrochen wurde bei Greencage auch. Da hat Siegfried Grünthal sein neuer englischer Name nämlich keinen Pfifferling

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