Und das Glück ist anderswo
erhalten, rührte sie. Ihr war klar, dass sie nicht nach einem Staubtuch fragen konnte und erst recht nicht nach einem Fensterleder, ohne den Witwer zu kränken, doch auf einen Schlag vergaß sie dann doch, sich an die Spielregeln für den Umgang mit Männerstolz zu halten. Ihr fiel auf, dass der mittlere Knopf an seinem dunkelblauen Blazer nur noch an einem Faden hing. Als sie vorschlug, den Knopf festzunähen und »dann auch gleich nach den anderen beiden zu sehen«, musste sie lächeln -obwohl sie ihr Gesicht nicht sah, wusste sie, dass es wie in den Zeiten aussah, da sie weibliche List als eine selbstverständliche Begleiterin der Tage empfunden hatte. Nur weil sie ohnehin in den Nähutensilien der seligen Mrs Bron-stein wühlte - ein ihrer Einschätzung nach recht liederlich eingeräumter Blechkasten mit nur einer Spule Knopflochseide und einer zu stumpfen Schere -, schlug Martha vor, die »Gelegenheit zu nutzen« und den aufgetrennten Saum der Küchengardine zu richten.
»Bedank’ dich wenigstens bei unserem lieben Gast, das war dein Werk, du Monster«, wisperte Samy seiner Katze zärtlich ins Ohr.
»Sie stecken doch nicht mit Ihrer Katze unter einer Decke, Mister Bronstein?«
»Nur noch mit meiner Katze, Mrs Freund. Leider.«
Beim zweiten Treffen, es war noch keine Woche seit dem ersten vergangen, beschränkte sich Martha auf kleine, nützliche Handgriffe, die Männern in der Regel nicht auffallen, aber einem Mann, dessen Sinn für Ästhetik an feinem Leder geschult worden ist, eben doch. Es wurde ein Nachmittag, der beide überaus zufrieden stimmte. Er hatte eine Flasche Port besorgt. Es war eine Preisklasse, der sich auch der reiche Mister Silverstone nicht hätte schämen müssen, doch Samy tat so, als wäre ihm schon immer eine teuer gefüllte Hausbar Herzensanliegen gewesen. Eine Viertelstunde später war er allerdings nicht mehr auf der Hut und gestand versehentlich, sein Lieblingsgetränk wäre Ginger Ale mit drei Spritzern Zitrone. Martha aber blieb tapfer und bis zum Aufbruch bei der Behauptung, ein Gläschen Port würde ihr zu jeder Tageszeit munden. Beim dritten Rendezvous trafen sie sich zu einem Konzertbesuch, das sogar in der U-Bahnstation Finchley Road plakatiert worden war, wohin er immer zu einem Metzger böhmischer Abstammung fuhr, der ihn mit preiswertem Futter für seine Katze versorgte. Es genierte Bronstein enorm, dass er das Plakat zu flüchtig gelesen hatte. Es wurde ausschließlich Musik moderner englischer Komponisten gespielt. Er beneidete die Männer vom Orchester um die Robustheit ihrer Ohren, und zum Zweiten neidete er den Platzanweisern ihr freies Leben. Sie hatten beim ersten Ton geschlossen den Saal verlassen. Samy konnte sich nicht erinnern, je so hämmernde, aggressiv dröhnende
Musik gehört zu haben - auch nicht als seine Kinder im Teenageralter gewesen waren. Noch vor der Pause fielen ihm drei wirklich einfallsreiche Entschuldigungen ein, um seine Fehlentscheidung zu begründen, doch zu seinem Erstaunen verlangte die Frau an seiner Seite kein Wort der Erklärung. Ihr schmeichelte es, dass er sie für jung und weltoffen genug für eine Veranstaltung hielt, in dem der größte Teil des Publikums so aussah, als hätte er seine einzige saubere Hose verkauft, um sich das Konzert leisten zu können.
Ein noch größerer Erfolg als das Konzert wurden der Tee und die Sandwiches mit gegrillter Pute und Pflaumenchutney in einem Lyons Corner House. Das Restaurant versprach nicht nur Schutz vor einem plötzlich einsetzenden Regenschauer, sondern auch Kuchen zu ermäßigten Preisen - es war die gastliche Stätte, in der sich Emil und Liesel sechzehn Jahre zuvor ineinander verliebt hatten. Obwohl Martha das nicht wusste, wurde sie in einem Moment, in dem sie das am wenigsten erwartete, mutig. Sie fragte Samy erstens nach seinem Geburtstag und zweitens nach seinem Lieblingsgericht. Als Antwort schlug er ihr das Du vor und bestellte für beide einen trockenen Sherry, der mit einem Schälchen Erdnüsse serviert wurde.
»Der ist noch besser als mein Port zu Hause«, schwärmte er. »Finden Sie nicht auch?«
»Du«, verbesserte Martha und wurde rot. Sie dachte an David, der sich immer über eine Sprache lustig machte, die zwischen dem Du und dem Sie unterscheiden musste, und errötete noch mehr bei dem Gedanken, was er über eine Großmutter sagen würde, die auf einem Barhocker saß und sich nach dem Geburtstag fremder Herren erkundigte. Sie wippte leicht mit ihrem rechten Bein und
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