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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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mäßig für den Haushalt interessierte, würde künftig nicht mehr die Gesamtheit ihrer Tage mit der Familie teilen. Noch quälte die mutige Revolutionärin allerdings die Vorstellung, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, wie sie ihren Kindern und Enkeln von Samuel Bronstein aus Golders Green berichten könnte. Noch im Schlaf hörte sie die Glocken Sturm läuten. Äußerst zuwider war Martha der Gedanke, vor allem ihre spröde Tochter könnte grundverkehrte Schlüsse ziehen und mit hochgezogenen Augenbrauen zu Ergebnissen gelangen, die für die Mutter schon in der Theorie kränkend waren.
    Zur gleichen Stunde, in der David den rasenden Pulsschlag der Zeit beklagte, vertraute seine Großmutter einer Schildpattkatze mit smaragdgrünen Augen an: »Mein Gott, Mieze, wenn wir uns nicht beeilen, sind die Feiertage um, und es sieht hier immer noch aus wie bei Hempels unter dem Sofa.« Da die an jeder Facette des Lebens interessierte Katze seit drei Jahren im Hause Bronstein lebte, und dies seit ihrer zehnten Lebenswoche, schien sie zu wissen, dass die neue Frau im Haus von einem jüdischen Feiertag und nicht von einem allgemeinen Ruhetag sprach. Es war das erste Mal, dass die Fremde das Wort an die Katzenschönheit richtete. Die machte aus ihrem Rücken eine fein geschwungene Brücke, sprang tatenfroh vom Sessel und klammerte sich an den Besen im rastlosen Einsatz. Martha, die in all den Jahren in Kenia nie die intime Bekanntschaft einer Hauskatze und stattdessen sehr ärgerliche mit Servalkatzen gemacht hatte, die nachts ihre Küken fraßen, deutete das Verhalten von Mister Bronsteins Hausgenossin als erstes Freundschaftsangebot. Das war nur bedingt richtig, doch wie sich einige Sekunden danach zeigte, gefiel der Katze Marthas bayerisch tiefe Stimme, und sie schnurrte Zustimmung.
    »Du hast ganz Recht«, sagte die Besenschwingerin, »wir beide werden das schon schaffen.«
    Es war drei Tage vor Schawuoth. Bei dem Fest, das in die Pfingstzeit fällt, wird nicht nur für die erste Ernte gedankt, sondern auch des Tages gedacht, an dem den Juden am Berg Sinai die Zehn Gebote offenbart wurden. Frau Freund, die nicht religiös war und sehr selten in die Synagoge ging, interessierte an Schawuoth in erster Linie, dass nach alter jüdischer Sitte das Heim mit grünem Laub geschmückt wird und dass keine Fleischgerichte, sondern vorwiegend solche mit Quark gereicht werden. Die Katze war noch jung genug, um Freude an dem unerwarteten Laub in Mister Bronsteins vier Zimmern zu haben. Von der drohenden Fleischlosigkeit konnte sie freilich nichts ahnen. Sie war ja nicht in einem auf Tradition bedachten Umfeld aufgewachsen. Von der verstorbenen Mrs Bronstein war sie durchnässt und abgemagert im Narzissenbeet gefunden und am gleichen Abend mit dem englischen Allerweltsnamen »Pussy« bedacht worden.
    Miriam Bronstein war seit fünfzehn Monaten tot und wurde von ihrem Mann nun ausschließlich als »meine selige Frau« ins Gespräch gebracht, doch wurde sie längst nicht so von ihm betrauert, wie der im Judentum gebrauchte Ausdruck für Verstorbene vermuten lässt. Sie hatte, was dem Glück der Ehe im Laufe der Jahre immer weniger hold gewesen war, Assimilation für ihr gesamtes Lebenspanorama erstrebt. Ihr Ehemann hingegen war ihr exakter Gegenpart. Wann immer sich dazu Gelegenheit bot, nannte sich Miriam ausgerechnet »Mary«. Samy verübelte ihr das sehr. Sie wiederum nahm ihm übel, dass er - auf ihr Drängen - zwar die englische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, jedoch so an seinem Familiennamen hing, als wäre es ein einmaliges Privileg, in England Bronstein zu heißen.
    »Unsere jüdische Mary«, wie der Trotzkopf seine Gattin in besonders unpassenden Momenten zu nennen pflegte, stammte aus einem Dorf in der Nähe von Würzburg und war 1937 nach England gekommen - zunächst als Dienstmädchen und zwei Jahre danach, wie sie in ebenso unpassenden Momenten zu sagen beliebte, »als Mister Bron-steins unbezahlte Haushälterin«. Schon vor der Geburt des ersten ihrer beiden Kinder hatte sich diese Haushälterin wider Willen enorme Mühe gegeben, ihre Muttersprache zu vergessen. Das Gleiche hatte sie von ihrem Mann verlangt. Samuel Bronstein, von allen, die er schätzte und von denen, die seinen Familiennamen nicht aussprechen konnten, Samy genannt, gab aus Prinzip nur Forderungen nach, die mit seinem Stolz vereinbar waren. Er hatte in Offenbach eine kleine Lederfabrik besessen, in der Handschuhe und leichtes Reisegepäck

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