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Und das Glück ist anderswo

Titel: Und das Glück ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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genützt. Der Mann hatte eine der schönsten Briefmarkensammlungen, die ich je gesehen habe. Und alles unter Lebensgefahr vor Hitler gerettet.«
    »Ich meine doch, dass sie siebzig werden«, unterbrach ihn Martha. »Wie sagen die Engländer? Compliments for den
    Fish. Das haben Sie doch weiß Gott nicht nötig, Herr Bronstein.« Diesmal entzog sie ihm nicht ihre Hand.
    Ihm gefiel es, dass sie wie ein junges Mädchen lächelte - mit den Augen und nicht nur mit den Lippen. Das sagte er ihr, ehe er überhaupt auf die Idee kam, sich altersgemäß zu verhalten. Danach nahm der Austausch von Komplimenten sehr viel mehr Zeit in Anspruch, als es Menschen gewohnt sind, die geschickter mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart umzugehen wissen. So kamen sie nicht mehr dazu, den einen Punkt zu erörtern, der beide gleich stark beschäftigte. Würden sie einander vor dem nächsten Seniorennachmittag in Hampstead wiedersehen? Unter welchem Vorwand und wo? Martha nahm versehentlich einen falschen Regenschirm mit nach Hause, zudem einen ganzen Berg von Fragen, von denen sie fand, ihre Enkeltochter hätte jede einzelne sehr viel besser beantworten können als sie.
    Beim Aufbruch verwechselte er zwei dunkelgrün gestrichene Türen und landete statt im Badezimmer im Schlafzimmer. Unter einer Jugendstillampe stellte er verblüfft fest, dass die vornehme Gastgeberin, die den Eindruck machte, als interessiere sie sich ausschließlich für Backrezepte und den beruflichen Werdegang ihres Sohnes, eines angehenden Augenarztes, über ihrem Bett ein Bild hängen hatte, das zwei nackte Frauen auf einer Liegestatt aus roten Rosen zeigte. Samy, der sein Lebtag nicht indiskret gewesen war, beschloss, ein wenig peinlich berührt, dies Martha zu erzählen - falls er das Glück hätte, sie wiederzusehen. Auf dem Heimweg vergaß er, der Katze Futter zu kaufen. Er musste Pussy mit portugiesischen Ölsardinen ruhig stellen, die sie misstrauisch in Empfang nahm und zwei Stunden später jammernd auf dem hellgrauen
    Teppich im Wohnzimmer aus sich herauswürgte. Kurz vor dem Einschlafen vermeinte er, die Stimme seiner früheren Gattin zu vernehmen. Sie nannte ihn einen verantwortungslosen Nebbich.
    Schon am nächsten Tag rief Samuel Bronstein bei Martha Freund an. Es war nachmittags um halb vier. Die Sonne bestrahlte das Maigrün der Bäume und das Gemüt von Menschen, die Jahr für Jahr lauter den Frühling als Wunder bejubeln. Martha, den Telefonhörer so fest umklammert haltend, als wollte ihn ihr ein Berserker entreißen, seufzte erleichtert auf. Sie war froh, dass sie allein zu Hause war, also ihrer kritischen Tochter nicht den Seufzer zu erklären brauchte und ebenso wenig den Grund für die roten Flecken auf ihren Wangen. Trotz ihrer Gesichtsfarbe, über die ihr die soeben gewienerten Scheiben im Wohnzimmerschrank beredt Auskunft gaben, und ihres beschleunigten Herzschlags, der Zeitläufte durcheinander wirbelte wie ein Schneeschläger das Weiße vom Ei, zierte sich Martha nicht, Samys ungewöhnlichem Vorschlag zuzustimmen. Sie versprach, ihn am darauf folgenden Mittwochnachmittag in Golders Green zu besuchen, und flehte ihn besorgt an, sich »nur ja keine Mühe zu machen«. Übermäßig überrascht war sie von seiner Einladung nicht, nur ein wenig beklommen, als sie am nächsten Tag eine Verabredung beim Friseur machte, ihre sämtlichen Röcke anprobierte und dann ausgerechnet einen hellbeigen kürzte, den sie eigentlich Liesel hatte schenken wollen. Schon beim ersten Tragen war der Rock ihr zu jugendlich für eine Frau in ihrem Alter erschienen, und dann hatte Emil auch noch gesagt, sie würde in ihm wie eine japanische Geisha im Teehaus schreiten.
    Ehe die Procters nach Kenia aufbrachen, gab es für Martha noch nicht einmal den Bruchteil von einem Grund, mit ihrer Familie andere Themen zu erörtern als die üblichen. Wie auch hätten sie ihre Kinder und Enkelkinder wissen lassen sollen, dass sich aus einer ganz alltäglichen Plauderei über aufmüpfige Söhne und unbelehrbare Töchter, über Leberkäse, Zwetschenkuchen und Katzen eine nicht alltägliche Geschichte entwickelt hatte? Und dies in einem Tempo, das beiden Beteiligten Vernunft und Sprache raubte? Diese Geschichte war alt, und doch war sie immer noch jenen neu, denen sie widerfuhr.
    Bei ihrem ersten Besuch in Golders Green regte sich nur Marthas weiblicher Schutzinstinkt. Zu sehen, wie ein allein lebender Mann sich so energisch bemühte, das Gefüge seines bisherigen Lebens zu

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